Hilmar Schmiedl-Neuburg
Y – Z Atop Denk 2022, 2(2), 2.
Abstract: Die Krise ist eine schillernde, janusköpfige Figur, sie ist Moment der Unbestimmtheit und Möglichkeit, Ereignis von Freiheit aber auch Aufbrechen von Angst. Sie ist Versprechen, Drohung und Schwindel zugleich und in ein komplexes Netz mit anderen philosophischen Figuren verwoben. Als krinein, „trennen", „urteilen" evoziert sie Differenz, philosophische und wissenschaftliche Differenzierung, Unterschied, aber auch existentielle Entscheidung. Der Essay geht der Krise phänomenologisch wie begriffsanalytisch nach und lässt sie in ihrer Bedeutung für Philosophie, Psychoanalyse und Kulturwissenschaft deutlich werden.
Keywords: Krise, Kritik, Entscheidung
Veröffentlicht: 25.02.2022
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1. Facetten der Krise
Was ist die Krise? Auf diese Weise hätte vielleicht Sokrates philosophisch nach dem Wesen der Krise gefragt und in diesem Essay möchte ich versuchen, dieser Frage und ihren möglichen Antworten auf begriffsanalytischem und phänomenologischem Wege nachzugehen.
In einer ersten Annäherung an diese Problematik ließe sich vielleicht sagen: Die Krise ist eine schillernde, janusköpfige Figur, sie ist Moment der Unbestimmtheit und Möglichkeit, Ereignis von Freiheit und Hoffnung, aber auch von Zweifel und Einengung, und stets von Angst und Gefahr. In der Krise geraten die Selbstverständlichkeiten unserer Wirklichkeit ins Wanken, der existentielle wie der denkerische Boden unter unseren Füßen wird zweifelhaft, brüchig oder entschwindet gar, uns ergreift, mit Søren Kierkegaard gesprochen, ein Strudel, ein Schwindel aus Möglichkeit, Offenheit, Freiheit und Angst. Doch zu den Paradoxien der Krisenerfahrung gehört eben auch das umgekehrte Widerfahrnis des Erstarrens und der Lähmung, der Verengung, lateinisch angustia, und der Ausweglosigkeit, der Gewissheit des Verhängnisses, der Trauer, der Wut und der Verzweiflung.
Im Folgenden möchte ich diese verschiedenen Facetten der Krise in ihren begrifflichen und phänomenalen Aspekten genauer untersuchen.
2. Der Begriff der Krise
Versucht man sich der Krise begriffsanalytisch zu nähern, liegen verschiedene Zugangsweisen nahe. So wird sie abstrakt in lexikalischen Definitionsversuchen (vgl. Duden 2020b, Duden 2018, Simpson & Weiner 1989) meist als Wendepunkt beschrieben, als Höhepunkt oder Tiefpunkt einer Entwicklung in einem System psychischer, sozialer oder natürlicher Art, als Moment der Ungewissheit, d.h. der Gefahr, aber auch der Chance, der Entscheidungen erfordert, die weitreichende positive oder negative Konsequenzen für die weitere Entwicklung des betreffenden Systems zur Folge haben. Als Punkt oder Moment eignet ihr prima vista eher eine kürzere Dauer, wenn auch verschiedene Definitionsversuche anerkennen, dass eine Krise nicht nur einen akuten ereignis- sondern auch einen andauernden, chronifizierten Charakter gewinnen kann. Doch unbeschadet ihrer temporalen Erscheinungsweise unterbricht die Krise stets die bisherigen Routinen eines Systems und leitet eine Transformation desselben ein.
Etymologisch bezeichnet das Wort im 17. Jahrhundert, und damit die weitere Begriffsgeschichte prägend (vgl. Kluge et al. 2011, Duden 2020a), abstrakt eine bedeutsame und/oder entscheidende Phase in einer Entwicklung, während seine Bedeutung noch im 16. Jahrhundert eine recht konkrete, genuin medizinische Färbung aufweist, im Sinne einer negativen oder positiven, jedenfalls plötzlichen und drastischen Veränderung des Gesundheitszustandes, insbesondere eines Fieberabfalls; eine begriffliche Färbung, die das Wort bis heute im medizinischen Sprachgebrauch behalten hat (vgl. Pschyrembel 2017).
Bei dieser sprachgeschichtlichen Entwicklung handelt es sich im Übrigen um einen Prozess, der sich ganz parallel auch für das englische Wort crisis beschreiben lässt (vgl. Simpson & Weiner 1989, Langenscheidt 2019a) und der widerspiegelt, wie in der Epoche der frühen Neuzeit zahlreiche medizinische Begriffe, man denke etwa auch an den des Kreislaufes, in ihrer Bedeutung auf gesellschaftliche Phänomene ausgedehnt wurden.
Übernommen wurde das Wort ‚Krise‘ zu Beginn der frühen Neuzeit wohl, wahrscheinlich wie etwas später auch der etymologisch verwandte Begriff der Kritik, aus dem Französischen (vgl. Kluge et al. 2011), in welchem das Wort crise sowohl eine période difficile als auch medizinisch wie figurativ einen Anfall bezeichnen kann, mit aller Gewaltsamkeit, Plötzlichkeit und Bedrohlichkeit, die diesem Begriff innewohnen (vgl. Langenscheidt 2019b).
Das Französische selbst entlehnte den Begriff aus dem Lateinischen, crisis, entscheidende Wendung, dort auch verwandt mit cribrum, dem Sieb, und cernere, sichten, deutlich wahrnehmen, erkennen und einsehen, auch vorausahnen, aber ebenfalls unterscheiden, trennen, auslesen und auch entscheiden, etwa durch Kampf (vgl. Langenscheidt 2019c); alles Facetten der Krisenerfahrung, die bis heute dem Begriffe eigentümlich sind.
Doch auch der lateinische Begriff speist sich aus älteren Quellen, der griechischen κρίσις (krísis) und dem κρίνειν (krínein) oder κρίνω (krínō), dem, soweit wir wissen, eigentlichen Ursprung des Begriffs. Die Bedeutung des Nomens κρίσις entfaltet sich dabei in verschiedenen Nuancen (vgl. Gemoll 2000), es meint Streit, Zwiespalt und Scheidung, Wahl und Auswahl, ebenso wie Untersuchung, Entscheidung, Urteil, Verurteilung und Ausgang, Gerichtshof und Strafe, und fand entsprechend seine Anwendung besonders in rechtlichen Kontexten, aber auch, etwa bei Hippokrates, in medizinischen – die Entscheidungstage einer Krankheit –, und später auch in ästhetisch-kritischen Zusammenhängen.
Korrespondierend steht das Verb κρίνειν für zu Gericht sitzen, richterlich entscheiden, schlichten, anklagen, richten, verurteilen, zuerkennen, jemandem den Prozess machen oder jemanden vor Gericht stellen und zur Verantwortung ziehen. Aber es meint auch sich bewähren, sich stellen, sich messen, im Kampf oder vor Gericht. Allgemeiner bezeichnet es beurteilen, urteilen, auslesen, auswählen, gutheißen, beschließen und entscheiden, und zugleich, als Grundlage hierzu, sichten, scheiden, spalten, sondern, trennen, zerschneiden, unterscheiden, absondern, aussondern, wie aber auch ordnen, auslegen und deuten (vgl. Gemoll 2000).
Diese Doppelheit des ordnenden, bewertungsfreien Unterscheidens und des qualitativen Urteilens und bewertenden Richtens sind zwei Bedeutungsfacetten, die nicht nur der Krise, sondern auch dem ebenfalls von κρίνειν abgeleiteten Begriff der Kritik, griech. der κριτική τέχνη (kritiké techné), eigen sind und so auf die tiefe semantische Verwandtschaft von Krise und Kritik verweisen.
Betrachtet man den Begriff der Krise weiter semantisch (vgl. Duden 2019), ist zuerst auffällig, dass dieser, evtl. mit Ausnahme der Routine, keine direkten, zumindest offensichtlichen Antonyme zu haben scheint – vielleicht ein fernes Echo des hegelschen Diktums, dass die Weltgeschichte nicht „der Boden des Glücks“ sei und die Epochen des Glücks, gleichsam die krisenfreien Zeiten, die „Perioden der Zusammenstimmung, des fehlenden Gegensatzes“ (Hegel 1986, Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte, Einleitung) nur leere Blätter in ihr. Gleichzeitig weist der Begriff der Krise aber eine Vielzahl semantisch weitgehend synonymer oder verwandter Begriffe auf, von der Problemsituation und dem Scheidepunkt, über die Misere, die Bredouille, bis zur Notlage. Eigen scheint diesen verwandten Begriffen, sich thematisch unter mindestens fünf Gesichtspunkten ordnen zu lassen, etwa (a) unter dem Thema der Ausnahme von der Regel, der Unterbrechung, sodann (b) unter dem Thema der Notlage als Zeit der Gefahr und der Misere, (c) unter dem Thema der Ausweglosigkeit als Dilemma, Sackgasse, Schlamassel, Klemme oder Zwangslage, (d) unter dem Thema der Entscheidung, d.h. der existentiellen drängend-notwendigen Wahl und der Bewährung, und (e) unter dem Thema des Wendepunktes, als Zuspitzung von Konflikten, als Tiefpunkt, Kulminationspunkt, Scheideweg.
Zu diesem letzten Thema gehören auch die der Krise verwandten Topoi der Peripetie, von griech. περιπέτεια: (plötzlicher Umschlag, unerwartetes Unglück/Glück), im griechischen Drama, der entscheidende Wendepunkt im Schicksal eines Menschen, ebenso wie die Katastrophe, von griech. καταστροφή (Umwendung), im herabwendenden Sinne des Unglücks, aber auch das Umschlagen im Sinne der politischen oder kulturellen Revolution, lateinisch revolvere (zurück- oder umwälzen, umrollen), und im Sinne des Einschnitts und der Verletzung, das τραῦμα (tráuma), griechisch ‚die Wunde‘.
Typologisch lassen sich erwartete, etwa zyklisch wiederkehrende oder für bestimmte Entwicklungsphasen eines Menschen oder eines anderen Systems typische – man denke z.B. an Wachstums- oder Reifungskrisen – oder aus anderen Gründen absehbare Krisen, von unerwarteten, überraschend hereinbrechenden Krisen unterscheiden. Des Weiteren lassen sich kurze, eher ereignishafte, akute Krisen von sich dahinschleppenden, chronischen, differenzieren, und ebenfalls endogene, sich den Eigenentwicklungen eines Systems verdankende, von exogenen, d.h. von außen verursachten Krisen, und eng damit verwandt, selbst aktiv produzierte von passiv widerfahrenden Krisen. Außerdem können störungshafte, ohne zu große Veränderungen vorübergehende Krisen sowohl von das System tief verändernden und es transformierenden, als auch von vernichtend-terminalen, den Systemkollaps bedeutenden Krisen geschieden werden, und vielleicht sogar negative Krisen – das übliche Verständnis von Krise – von positiven.
Bevor ich nun die Phänomenologie der Krise und ihre Phasen näher untersuche, sei nach diesen eher abstrakten, begriffsanalytischen und -systematischen, etymologischen und typologischen Überlegungen zum Begriff der Krise auch in Erinnerung gerufen, in welcher konkreten empirischen Vielheit uns Krisen entgegentreten.
Höchst präsent sind uns meist die Krisen politischer, gesellschaftlicher wie ökonomischer Natur (vgl. Koselleck 1982). Politisch denke man an Regierungs- und Verfassungskrisen, Reformen, Bürgerkriege, Rebellionen oder Revolutionen, aber auch Kriege zwischen Staaten, Krisen also, die meist durch scharfe und konfrontative Konflikte, Gegensätze und Widersprüche gekennzeichnet sind, ebenso wie durch die große Bedeutung ihrer Konsequenzen für das politische Gemeinwesen und für das Leben und Schicksal der darin umfassten Menschen. Besonders die politische Krise verweist so auf den Zusammenhang des Phänomens der Krise mit denen des Konflikts, des Widerspruchs oder Gegensatzes, die in der Krise ausgetragen werden; ein Umstand, der sich auch in der krisenhaften Figuration gesellschaftlicher Konflikte, etwa ethnischen, Religions-, Geschlechts-, Klassen- und Generationskonflikten offenlegt. Ökonomisch denke man an Konjunkturkrisen und Strukturkrisen, Handels-, Finanz-, Währungs-, Schulden- und Bankenkrisen oder Rohstoffkrisen, ebenso wie Öl- und Wasserkrisen.
Auch Kultur und Kunst kennen ihre Krisen, mündend in der Umwertung von Werten, der Veränderung von Wahrnehmungs- und künstlerischen Produktionsweisen und dem Sterben, Verwandelt- und Geborenwerden künstlerischer und kultureller Formen und Praktiken.
Die Medizin weist wohl die älteste Verwendung des Krisenbegriffes auf (vgl. Pschyrembel 2017), in der die medizinische Krise die entscheidende Phase der Krankheitsentwicklung bezeichnet, den Wendepunkt zum Guten oder Schlechten, hierin die Offenheit und Ambiguität der Krise offenbarend. Und schließlich gedenke man, in diesem Zusammenhang, auch der psychischen Krisen, die uns im Alltag, in unserem eigenen Leben, wie in der psychotherapeutischen Praxis begegnen, und den einzelnen Menschen, wie in einer Grenzsituation im Sinne Karl Jaspers (2008), existentiell stellen und fordern, ihn in seiner Existenz zerbrechen oder ihn in dieser erhellen.
3. Das Phänomen der Krise
Wendet man sich weniger der Begrifflichkeit und mehr der Phänomenologie der Krise zu, eröffnen sich einige weitere Facetten und Charakteristika derselben. Im Folgenden werde ich bei dieser phänomenologischen Betrachtung besonders der idealtypischen zeitlich-phänomenalen Entwicklung einer Krise nachgehen, die in vielem phänomenologisch einem Gestaltzyklus gleicht, wie er als Phänomen von der Gestalttherapie herausgearbeitet wurde (Blankertz & Doubrawa 2017):
In der Vorphase einer Krise eines psychischen, sozialen oder natürlichen Systems, gleichsam prodromal, manifestieren sich erste Anzeichen derselben, die sich auf vielerlei Weise äußern können. So erhöhen sich langsam Spannungen, Selbstverständlichkeiten und haltende Strukturen erodieren kaum merklich, Normen verschieben sich Schritt für Schritt, Funktionen des betreffenden Systems zeigen vermehrt Störungen, Konflikte werden unmerklich schärfer, vereinzelte Minikrisen treten auf, eine Unruhe, ein Missempfinden oder unbestimmte Erregung mag das System ergreifen. Doch erscheinen diese Anzeichen oder Warnzeichen einer Krise noch diffus, unklar und unbestimmt, und daher offen für zahlreiche und eben auch beruhigende und normalisierende Deutungen, etwa als isolierte, spezielle Einzelphänomene oder natürliche temporäre Fluktuationen; wenn denn überhaupt eine Veränderung wahrgenommen wird und nicht, aufgrund des graduellen Charakters des Erscheinens dieser Phänomene, diese ersten bemerkbaren Krisenvorzeichen gänzlich verleugnet und übergangen werden. Das System selbst verharrt in diesem Vorkontakt mit der Krise weiter in seinen Routinen, Selbstverständlichkeiten und Normalitäten, eine Auseinandersetzung mit der kommenden Krise bleibt weitestgehend aus – eine Ursache für die Häufigkeit überraschender, unerwarteter Krisen, deren Überraschungscharakter sich meist der vorherigen Verleugnung der Krisenanzeichen oder schon vorab einer mangelnden Aufmerksamkeit für diese verdankt.
Doch schon in dieser Phase deuten sich die Vulnerabilitäten, die Verletzungspotentiale des betreffenden Systems an, gleich, ob es sich um einen einzelnen Menschen, sein Leben und seine Psyche, eine Menschengruppe, größere soziale Einheiten, Institutionen, ganze Gesellschaften, Denksysteme oder natürliche Systeme handelt; denn die Krisenanzeichen machen sich meist dort zuerst bemerkbar, wo das System Schwächen und Anfälligkeiten aufweist. Bei diesen Schwächen kann es sich sowohl um vom System selbst schon verleugnete oder abgewertete Aspekte desselben handeln, etwa im Einzelmenschen bestimmte psychische Probleme oder in der Gesellschaft sozial marginalisierte Gruppen, als auch um die vermeintlich größten Stärken eines Systems, die nun beginnen, sich auch in ihren dunklen Kehrseiten bemerkbar zu machen.
In Folge bahnt sich ein intensiverer Kontakt mit der Krise an. Unwohlsein, Spannung, Erregung steigen langsam an, die Gestalt der Krise und ihre mögliche Einheit und eventuelle Gefährlichkeit beginnt deutlicher zu werden und zieht vermehrt Aufmerksamkeit auf sich. Die Schwankungen in der Deutung der Krisenanzeichen nehmen zu. Die Verleugnungs- und normalisierenden Deutungen werden energischer und gebieterischer, und gleichzeitig treten die ersten angstvollen Kassandrarufe auf und mehren sich, der Kontrast zwischen beiden Reaktionsweisen nimmt zu und vertieft sich – im einzelnen Individuum mag sich dies in Schwankungen zwischen Selbstberuhigung und Momenten der Angst äußern.
Hieran schließt sich eine erste echte Kontaktaufnahme mit der Krise an. Vorsichtig wird die Figuration der Krise erforscht und beurteilt, ihre Einheit und Gefährlichkeit werden klarer, die Deutungen der Krisenphänomene gesättigter mit Informationen, wenn auch immer noch leidend an Fehleinschätzungen und fehlenden Kenntnissen, die Verleugnungen der Krise werden weiter schärfer, jedoch zunehmend marginalisiert und die Abwehr verschiebt sich auf die Betonung der Möglichkeit der souveränen Beherrschung der Krise, gegen die sich nun kontrastiv radikalere Reaktionsweisen in Stellung bringen und die existentielle Gefahr und überwältigende Macht der Krise in den Vordergrund rücken. Der Krisenzustand ist nun deutlich geworden und der Dissens verschiebt sich auf Fragen der wirklichen Gefährlichkeit und Beherrschbarkeit im Rahmen der normalen Problemlösungsroutinen des Systems.
In dem Maße, wie diese gewohnten Problemlösungsroutinen zunehmend an der Krise versagen und die gefahrvolle Gestalt der Krise immer klarer wird und immer näher rückt, macht sich das Gefühl eines Impasse breit. Das System blockiert, gescheiterte oder kaum effektive Problemlösungen werden wiederholt, um das Hindernis der Krise zu beseitigen, verengt und festgefahren macht sich Konfusion breit. Die Krise ist nun kaum noch zu verleugnen und mit steigendem Wissen um die Krise und ihre Gefahren und mit ihrer zunehmenden Nähe werden der Zweifel und die Angst größer, dass die Krise zudem auch nicht mehr beherrschbar sein wird. Das Gefühl der Bedrohung steigt an und auch das Bewusstsein um die Krise als bedeutsamen Wendepunkt und um die weitreichenden und prägenden Folgen derselben für die Zukunft intensivieren sich.
Dieser Impasse kann dann in wartende Resignation münden, die blasiert oder angstvoll gebannt des Kommenden harrt und/oder es mag auch zu einer letzten energischen und umfassenden Mobilisierung der bestehenden Problemlösungskräfte kommen, um die Krise mehr oder minder im Rahmen der bestehenden Systemstrukturen, wenn auch nicht mehr zu beherrschen, zumindest jedoch adaptiv zu bewältigen und zu überstehen.
Versagen diese letzten Versuche oder werden sie nicht einmal unternommen, implodiert das System. Mit diesem Zusammenbruch, diesem Umkippen des Systems sind wir im Zentrum der Krise angelangt, in dem die ihr eigenen Charakteristika am deutlichsten zum Vorschein treten. Die bis dahin zuerst nur langsam ansteigende Unsicherheit potentiert sich vielmals, wächst exponentiell an, die Unkontrollierbarkeit und Unbeherrschbarkeit der Krise wird augenfällig, der Zweifel an bestimmten Praktiken, Sichtweisen, Zielen, Routinen, Funktionen, Grenzziehungen, Werten und Strukturen radikalisiert sich und ergreift die Fundamente des Systems, die nun selbst in Frage stehen. Selbstverständlichkeiten zerbrechen, der Boden des Systems zerfällt, neue Fraglichkeiten brechen auf, fundamentale Ungewissheit zeigt sich allerorten.
Die Krise erweist sich hier als Moment radikaler Unbestimmtheit und so, zumindest in menschlichen Systemen, Søren Kierkegaards Bemerkungen im Begriff Angst (Kierkegaard 1992) eingedenk, nicht nur als Moment tiefer Furcht vor den anscheinend unausweichlichen Drohungen und Gefahren, welche die Krise mit sich bringt, sondern auch als Moment der Angst. In den kierkegaardschen Analysen ist der Moment der Angst nämlich nicht schlicht die Furcht vor etwas Bestimmtem, sondern eine Gestimmtheit, in der wir uns unausweichlich in und als Möglichkeit erfahren, und im Schwindel der Möglichkeit, in der uns der Boden entgleitet, zugleich schauernd angstvoll unserer Freiheit innewerden. Denn mit dem Zerfallen der Systemstrukturen entfallen auch die bisherigen Begrenzungen, Normierungen und Fesselungen, neue Freiheitsmöglichkeiten zum Guten, aber auch zum Schlimmen und zum ganz Anderen tun sich auf und mit ihnen vielleicht auch neue Chancen, unbeschadet der nun fast sicher dräuenden Gefahren der Zukunft.
Die Zukunft changiert so auf dem Höhepunkt der Krise zwischen sicherem Verhängnis und radikaler Ungewissheit, in die sich Samen der Hoffnung geflüchtet und verborgen haben. Insofern wird die Krise zu einem Moment, in der sich die lähmende oder panische, jedenfalls hilflose, ver- und einengende Furcht vor der hereinbrechenden Katastrophe, die Angst und das Erschauern angesichts der nun aufbrechenden Möglichkeiten und Freiheiten, die Wut auf die Veränderungen der Krise, die Trauer um das nun unrettbar Verlorengehende und Endende, die Orientierungslosigkeit angesichts der Ungewissheiten, die samenhaften Schimmer der Hoffnung und die Verzweiflung angesichts des unkontrollierbaren Ver-hängnisses ineinander mischen und verflechten.
Der Kulturwissenschaftler und Ethnologe Victor Turner beschrieb diese Schwellenphase in seinen Untersuchungen zu Übergangsriten (Turner 1964) als liminale Phase, in der die Trennung vom Alten gänzlich vollzogen, das Neue hingegen noch nicht da ist, und stattdessen ein Zustand radikaler und existentieller Unbestimmtheit und Mehrdeutigkeit vorherrscht. Die liminale Phase ist ein Zustand „betwixt and between“, der zugleich aber auch alle Betroffenen, unbeschadet ihrer bisherigen Herkunft oder Zukunft, zu einer „communitas“ verbindet.
Unter temporalen Gesichtspunkten wird die Krise in dieser Phase ihrer Entwicklung als Ereignis, als Bruch oder Riss erfahren und dieser Ereignis-, Riss-, Bruch- bzw. Unterbrechungscharakter der Krise, der die bisherigen Routinen und Strukturen zerbricht, macht auf den kairotischen Charakter der Krise aufmerksam. Denn auch der καιρός (kairós), der besondere Zeitmoment, ist im Griechischen qualitativ ereignishaft aus dem quantitativen Fluss der Zeit, χρόνος (chrónos), herausgehoben; er unterbricht und öffnet den chronologischen Strom durch seine Anders- oder Außerzeitlichkeit und denotiert zudem den besonderen, einzig passenden, richtigen Zeitpunkt des Handelns. Nicht zufällig bezeichnet der Theologe Paul Tillich (1922/1926/1958) mit καιρόι (kairói) die historischen Krisen der Menschheitsgeschichte, die dem Menschen eine existentielle Entscheidung abverlangten. Der καιρός ist Höhe-, Tief- und Wendepunkt der Krise, der als Moment der Freiheit die weitere Entwicklung jedoch offen sein lässt und gerade deswegen aber grundlegende Wahl und Entscheidung fordert. Die Dringlichkeit der Krise setzt diese Entscheidung unter Zeitdruck, will man nicht die Situation die Entscheidung für einen treffen lassen, wie es etwa stets in der Krise eines natürlichen Systems geschieht, und zugleich akzentuiert die Dringlichkeit der Krise den schwerwiegenden und eben entscheidenden Charakter dieser, mit Martin Heidegger gesprochen, notwendigen und vielleicht notwendenden Wahl.
Carl von Clausewitz schreibt in seinem Buch Vom Kriege über die Art der Entscheidungen in Grenzsituationen wie der des Krieges:
„Hier verläßt also die Tätigkeit des Verstandes das Gebiet der strengen Wissenschaft, der Logik und Mathematik, und wird, im weiten Verstande des Wortes, zur Kunst, d. h. zu der Fertigkeit, aus einer unübersehbaren Menge von Gegenständen und Verhältnissen die wichtigsten und entscheidenden durch den Takt des Urteils herauszufinden. Dieser Takt des Urteils besteht unstreitig mehr oder weniger in einer dunkeln Vergleichung aller Größen und Verhältnisse, wodurch die entfernten und unwichtigen schneller beseitigt und die nächsten und wichtigsten schneller herausgefunden werden, als wenn dies auf dem Wege strenger Schlußfolge geschehen sollte.“ (von Clausewitz 2008, Vom Kriege, Buch 8)
Denn die grundlegenden Entscheidungen in diesem Moment der Krise erlauben meist keine einfache logische Deduktion derselben, sondern verlangen kreative Neuschöpfungen, die aus dem Bisherigen nicht absehbar waren.
Die Resilienz eines Systems in einer Krise zeigt sich mithin nicht nur in seiner Copingfähigkeit, mit den praktischen Herausforderungen der Krise umzugehen, oder in seiner Fähigkeit, die evozierten Emotionen, von Wut, über Angst und Furcht, bis zu Trauer und Verzweiflung auszuhalten, sondern auch in seiner Fähigkeit, Entscheidungen zu treffen und insbesondere mit diesen Entscheidungen genuin Neues zu schaffen. Friedrich Nietzsche (1999) beschreibt im dritten Buch seines Werks Die fröhliche Wissenschaft in der Erzählung vom tollen Menschen diesen Umstand poetisch, wenn er davon spricht, dass die Menschen, nachdem sie Gott getötet, und so gleichsam den Horizont ausgewischt, den Ozean ausgetrunken und die Erde von Sonne losgebunden haben, dieser durch sie selbst heraufbeschworenen nihilistischen Krise nun begegnen müssen und an und mit sich experimentierend und über sich ins Ungewisse hinauswachsend mit ihren Entscheidungen und Taten selbst neue Horizonte, Ozeane und Sonnen schaffen und erfinden müssen.
Mit dem kreativen Auftauchen des Neuen wendet und wandelt sich die Implosion zur Explosion. Auf das angstvolle Freiheits-, Ungewissheits- und Möglichkeitsmoment des καιρός folgt ein neues Einsetzen von χρόνος. Wie auch immer die Entscheidungen am Höhepunkt der Krise fielen, ob bewusst gewählt oder von den Umständen der Krise selbst herbeigeführt und als Widerfahrnis erlitten, die Möglichkeiten der folgenden Entwicklung beginnen sich wieder zu reduzieren, die Ungewissheiten der Krise machen klareren Perspektiven Platz, gleich, ob diese Perspektiven ein Panorama des Untergangs sind, einer Wiedergeburt und eines ganz anderen Neubeginns. Die Spannungen, Lähmungen und Aktionismen der Krise machen klarem und engagiertem Handeln, Verändern, Neu- und Umgestalten oder auch einem bewussten Lassen Platz. Die Enge der Krise, die angustia, ist durchfahren, gleich ob zum Guten oder Schlimmen, auf jeden Fall zu etwas Neuem, wenn auch die Narben der Krise das System gezeichnet haben und die Zukunft mitgestalten.
Die Phase des kreativen Neubeginns weicht nach einiger Zeit einer neuen Normalität, die neuen systemischen Strukturen, Routinen und Funktionen beginnen zu sedimentieren und zu neuen Selbstverständlichkeiten zu gefrieren. Die Spannungen der Krise haben sich gelöst, ihre Gestalt hat sich geschlossen und versinkt im Hintergrund des Neuen, die Zukunft scheint offen und zugleich klar.
Schließlich wird nach der Etablierung dieser neuen Normalität in menschlichen Systemen dann auch der Nachkontakt zur Krise, die Reflektion, die Erinnerung an diese möglich als einem entscheidenden Wendepunkt, der zugleich aber nun der Vergangenheit angehört; und vielleicht mag nun sogar ein Sinn in der Krise gefunden werden.
4. Bedeutungen der Krise für Philosophie, Psychoanalyse und Kulturwissenschaften
Nach diesen Gedanken zu den idealtypischen Phasen und der Phänomenologie der Krise möchte ich nun abschließend einige Überlegungen zur Bedeutung der Figur der Krise für Kulturwissenschaften, Psychoanalyse und Philosophie anstellen.
Das Verhältnis der Kulturwissenschaften zur Figur der Krise ist zumindest doppelgestaltig. Zum einen bieten Krisen einen unerschöpflichen Untersuchungsgegenstand kulturwissenschaftlicher Forschung: So können soziale, politische oder ökonomische Krisenphänomene ebenso zum Objekt kulturwissenschaftlicher Untersuchungen werden, wie Krisen von Symbolsystemen, z.B. etwa Kunstrichtungen, Philosophien, Ideologien, Wissenschaftsdisziplinen oder Religionen, nicht zuletzt weil, wie die Cultural Studies ebenso wie die Wissenssoziologie zeigen, Krisen von Symbolsystemen stets auch soziale, politische und ökonomische Rückseiten haben, und sich soziale, politische und ökonomische Krisen immer auch zugleich auf symbolischer Ebene ereignen.
Dieser Umstand wird besonders deutlich in der Kulturkritik, die nicht nur die alten etymologischen Geschwister Kritik und Krise wieder zusammenführt, indem die Kulturkritik sich in aller Regel auf eine vermeintliche Krise der Kultur fokussiert, sondern in der auch ideologiekritisch auffällig wird, wie die Kritik von symbolischen Krisenphänomenen stets auch und zugleich, wenn vielleicht auch uneingestanden, eine Kritik gesellschaftlicher Strukturen, Gruppen oder Verhältnisse ist.
Zum anderen aber sind die Kulturwissenschaften auch selbst von Krisen geschaffen und strukturiert. Geboren aus der Krise der Geisteswissenschaften, aber auch der der Sozialwissenschaften, sind sie schon von ihrer Herkunft her Kinder der Krise und es ist auffällig, wie sehr die historische Binnenentwicklung der Kulturwissenschaften eine ständige Abfolge von Krisen, in der Form von Wenden, englisch turns zu sein scheint, vom linguistic turn, über den cultural turn, den visual oder iconic turn, den performative turn, oder den bodily turn – eine Eigenart der Kulturwissenschaften, die selbst, kulturwissenschaftlich betrachtet, möglicherweise eine symbolische Kehrseite der krisenhaften Entwicklung des Spätkapitalismus darstellt.
Auch für die Psychoanalyse ist die Krise auf vielfältige Weise von grundlegender Bedeutung. Am offensichtlichsten ist dies im Fall psychischer und existentieller Krisen, die einen Menschen erfassen, denn zumeist sind es solche Krisen, die ihn in eine psychoanalytische Praxis führen. Derlei Krisen können in vielfältigsten Formen auftreten, etwa als Krisen durch das Auftreten neurotischer oder psychotischer Symptome, als Beziehungs- oder Familienkrisen, als Lebenskrisen bedingt durch altersmäßiges Fortschreiten, oder als Krisen hervorgerufen durch äußere Ereignisse, wie Traumata, Erkrankungen, andere besondere Lebensereignisse, oder belastende politische, soziale, kulturelle und ökonomische Lebensbedingungen und -zustände. Es mag sich bei diesen individuellen Krisen um Existenzkrisen, Sinnkrisen, Identitätskrisen, Schaffenskrisen und vieles mehr handeln. Und all diese persönlichen Krisen können in akuter Form auftreten ebenso wie in verschleppter, chronifizierter Weise. Dabei ist diesen ganzen Krisen meist eigen, dass sie der betroffenen Person Leiden bereiten und zugleich ihre Bewältigungsmöglichkeiten überschreiten, so dass das psychische System und das Lebenssystem des jeweiligen Menschen aus ihrem systemischen Gleichgewicht in eine Krise geraten. Zur Aufgabe der therapeutischen Arbeit wird es sodann, den Menschen durch diese Krise hin zu einem neuen Gleichgewicht zu begleiten.
Eine weitere Facette der Krise in der Psychoanalyse sind, neben den obigen individuell-kontingenten Krisen, die charakteristischen und notwendigen Entwicklungskrisen des Menschen. So stellt bei Sigmund Freud (2009) jede neue psychosexuelle Lebensphase auch eine neue krisenhafte Herausforderung für den kindlichen Menschen dar, in der die bisherigen psychischen Strukturen an den neuen Realitätsanforderungen scheitern und durch einen Prozess der Krise im positiven Bewältigungsfall neue Strukturen aufgebaut werden. Gelingt dieser neue Strukturaufbau hingegen nicht oder nur teilweise, verbleiben Teile der psychischen Struktur im Modus der Krise fixiert und mögen später für den erwachsenen Menschen neurotische Krisen zur Folge haben. In ähnlicher Weise beschreibt auch Erik Erikson in seinem Stufenmodell (Erikson 1966) die psychosoziale Entwicklung des Menschen, welche bei ihm die gesamte Lebensspanne umfasst, als eine phasenhafte Folge von acht Entwicklungskrisen, in denen je neue Grundkonflikte aufbrechen, die von den alten Strukturen nicht bewältigt werden können, mithin als Krise erfahren werden, und im glückenden Fall, mittels neuer psychischer Strukturen bewältigt werden können.
An diesen Gedanken wird nochmals offenbar, wie eng Konflikt und Krise miteinander verknüpft sind. Zwar mag nicht jede Krise als Konflikt beschreibbar sein, und auch nicht jeder Konflikt als Krise, doch zumindest die neurotischen Konflikte, mit denen sich die Psychoanalyse befasst, treten in Gestalt akuter oder chronifizierter Krisen auf.
Doch auch die Psychoanalyse selbst als klinische Praxis baut in ihrem Fortgange auf Krisen als Momente der Veränderung, in der neurotische Strukturen zusammenfallen und neue Strukturen die Chance haben heranzureifen; mehr noch, sie arbeitet nicht nur im Rahmen der Analyse mit, durch und an Krisen, die Analyse selbst lässt sich als Krise des neurotischen Systems beschreiben, welche dieses in Zusammenbruch und Neubeginn führt.
Für die Philosophie schließlich zeigt sich die Krise auf wiederum neue Weisen. So kennt die Philosophie selbst in ihrer Geschichte wie in der Geschichte ihrer Einzeldisziplinen viele Krisen, in denen scheinbare Selbstverständlichkeiten brüchig wurden, denkerische Voraussetzungen, etwa in der Ontologie, der Erkenntnistheorie, der Ästhetik, der Logik oder der Ethik zusammenbrachen und durch neue ersetzt wurden.
Doch ist die Philosophie noch tiefer mit der Krise verwoben. So erblickte schon äußerlich und nicht zufällig die Philosophie das Licht der Welt in einer Zeit, in der das antike Griechenland durch einen tiefen sozialen, kulturellen und politischen Wandel ging, der dann in die griechische Aufklärung mündete.
Aber auch innerlich sind Krise und Philosophie verflochten. Aristoteles hatte den existentiellen Ursprung der Philosophie im Staunen erblickt, René Descartes hingegen im radikalstmöglichen Zweifel, Søren Kierkegaard sah ihn in der Angst, Siddhārtha Gautama, der Buddha, in der Erfahrung des Leidens und Karl Jaspers in der existentiellen scheiternden Konfrontation des Menschen mit Grenzsituationen. Insoweit die Krise in diesem Sinne existentielle Grenzsituation ist, uns scheitern lässt und tiefes Leid bereitet, uns in die Enge und Möglichkeit der Angst versetzt, alles von Grund auf in Zweifel zieht und uns ins Staunen bringt angesichts des aus der Krise geborenen Neuen, ist die Krise auch existentiell Schoß des Philosophierens.
Jedoch noch in einer weiteren Hinsicht erweisen sich Philosophie und Krise als einander innerlich verwandt, denn ein bestimmendes Moment des Philosophierens, das sich bekanntlich vorzugsweise im Medium der Vernunft bewegt, ist das verständige Differenzieren und Unterscheiden, mit anderen Worten, das κρίνειν (krínein), das Unterscheiden, Differenzieren und Urteilen, von dem sich sowohl κρίσις (krísis) wie auch κριτική τέχνη (kritiké techné), Kritik und Krise gleichermaßen ableiten. Dies zeigte sich schon bei Sokrates, dessen vernünftig unterscheidend-differenzierendes Befragen und kritisches Prüfen der Denkweisen und Lebensführung seiner Mitbürger selbst aus der Krise der Erkenntnis seines eigenen Nichtwissens erwuchs und seine Gesprächspartner ebenfalls in die aporetische (und existentielle) Krise führte. In der Philosophie erweisen sich mithin sowohl das verständig-vernünftig-begriffliche als auch das aisthetisch-phänomenologische Differenzieren des κρίνειν, das Ordnen, das Sichten, Bewerten, Kritisieren und Grenzziehen der Kritik und das In-Krisen-Stürzen, also das Infragestellen vermeintlich fester und unbezweifelbarer ethischer, ontologischer, erkenntnistheoretischer, wissenschaftlicher oder auch existentieller Grundannahmen, als verschiedene und zugleich miteinander verbundene Facetten der Krise, mit deren Betrachtung wir nun an das vorläufige Ende dieses Streifzuges durch die begrifflichen und phänomenologischen Facetten der Figur der Krise gelangt sind.
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Autor:in: PD Dr. Hilmar Schmiedl-Neuburg, ist Privatdozent am Philosophisches Seminar der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel und Faculty am Department of Philosophy der University of Massachusetts Boston. Zu seinen beruflichen Stationen gehören Vertretungsprofessuren, Gastdozenturen und Fellowships in Kiel, Hamburg, Wien, Berlin, Prag, Boston und Harvard in den Gebieten Philosophie bzw. Psychotherapie. Er ist Dozent am John-Rittmeister-Institut für Psychoanalyse, Kiel, und Gestalttherapeut in freier Praxis.