Notizen zu Genusszwang und Impotenz
Nico Graack
Y – Z Atop Denk 2023, 3(12), 1.
Abstract: Die sogenannte „post-ödipale“ oder besser „prä-ödipale“ Gesellschaft wie die unsere, die klassische symbolische Autorität zugunsten eines allgemeinen Zynismus überwunden hat, wird nicht von neuer Freiheit, sondern neurotischer Impotenz, Selbstzweifeln und Autoaggression heimgesucht. In diesem Kontext liefert Jack Strattons Song „I can’t party“ eine subversive subjektive Position, die sich mit der Impotenz identifiziert – ohne dies wiederum in den Dienst der Selbstinszenierung zu stellen. Du musst feiern! Aber keiner kann dir befehlen, dabei Spaß zu haben.
Keywords: Post-ödipale Gesellschaft, Genusszwang, Lacan, Party, Ideologiekritik
Veröffentlicht: 30.12.2023
Artikel als Download: I can't party
All das Begehrte ist verfügbar – und doch geht es nicht. Von dieser in unseren post-ödipalen (oder mit Goetzmann vielleicht besser: „prä-ödipalen“, vgl. Goetzmann 2023) Zeiten omnipräsenten Erfahrung weiß der Protagonist des Jack-Stratton-Songs „I can’t party“ (2023) zu berichten. Er wird völlig unvermittelt – will sagen: ohne dafür mit imaginären Pfauenfedern herumstolzieren zu müssen – mit einem Amalgam der wildesten (männlich-chauvinistischen) Träume konfrontiert: Eine schöne Frau lädt ihn ein. Sie verkörpert verschiedenste Begehren: Sie ist lustig und intelligent, ohne unnahbar zu sein – sie erzählt „dad jokes“ – sie ist reich, hat eine ausgezeichnete Köchin in ihrer Villa und nimmt in einigen Versen die Rolle einer allgütigen Mutter ein: Sie nimmt jeden Druck aus der Situation – müde werden ist in Ordnung, geschlafen werden darf im Bett mit den schwedischen Freundinnen, die die Rollen der unerfahrenen, unschuldigen Neuankömmlinge in der Stadt spielen.
Mit anderen Worten: Der arme Protagonist ist mit der Möglichkeit eines grenzenlosen Genusses konfrontiert – eines „Genießens, das unendlich erscheint, weil nichts mehr verboten ist“, wie Goetzmann es kürzlich als Fundamentalphantasma einer „prä-ödipalen“ Gesellschaft artikulierte. Von American Pie über Coca-Cola-Werbung zum Co-Working-Space mit der Aufschrift „Welcome home. Oops, we meant ‚Welcome to work‘“ ist diese Gesellschaft, die sich der lächerlichen Autorität des väterlichen Verbots entzogen hat, von einem Imperativ zum Genießen1 bestimmt. Aber diese Entgrenzung führt, so eine übliche Analyse, nicht zu mehr Freiheit in dieser Gesellschaft – sondern es „scheint das Gegenteil einer Neurotisierung der Fall zu sein“ (Finkelde 2022, S. 62). Unter der Last der drohenden Verwirklichung dieses Imperativs reagiert der Protagonist aus Strattons Song normal – mit Impotenz: „‚You wanna come with? You seem cool and artsy.‘ That's when I broke the news, honey: I, I, I – I can’t party“.
Die Form steht in Konflikt mit diesem Inhalt: Wir hören Bass-lastige Rhythmuskonstellationen, perkussive Gitarren-Stimmen, ein dominantes, simples Schlagzeug – in anderen Worten: Wir hören Funk. Partymusik. Man könnte geneigt sein, hierin folgenden ideologischen Zug zu sehen: Es wird sich mit dem Bild des Unbeholfenen, des cringe-Außenseiters identifiziert, gerade um dem Befehl besser gerecht zu werden – man identifiziert sich mit dem ‚Uncoolen‘, um ‚cooler‘ zu sein; so cool, dass bereits die Erfahrung des Scheiterns vor dem Über-Ich Befehl zum Genießen eingepreist ist, lässig angenommen werden kann. Hier wird also nur verlautet, nicht feiern zu können, um das Zentrum des Dancefloors zu sein – so wie der Song in der Tat auch von der begeisterten Masse auf dem Bonnaroo-Festival aufgenommen wird2 – und die Form verrät diesen verdrängten Inhalt.
Der Refrain des Songs deutet aber auf eine andere Lesart, in der eine subversive, ideologiekritische Position gegenüber dem Imperativ zum Genießen aufscheint. Der Protagonist stottert „I, I, I“ – erinnern wir uns daran, dass die paradigmatische Form des „wahren Sprechens“ in Lacans Rom-Vortrag das Stottern ist – und setzt dann kurz aus, die Band bleibt in der Schwebe. Das ist die Logik des Drops wie er in elektronischer Tanzmusik eingesetzt wird, die flimmernde Leere kurz vor der Entladung in den ekstatischen Höhepunkt. In „I can’t party“ aber nichts dergleichen: Die monotone, klebrig in die Länge gezogene Gesangslinie des Refrains bildet einen durch und durch antiklimaktischen ‚Höhepunkt‘.
Darin steckt eine ganz andere Botschaft als die der List, die sich dem Imperativ noch gewiefter unterwirft. Die Position des Nicht-Könnens, der Impotenz, wird nicht eingenommen, um sich dann doch gespielt störrisch mitzerren zu lassen – das Angebot der „perfekten Frau“ wird achselzuckend ausgeschlagen. Das aber in der Form der Party. Darin steckt die Einsicht, dass es in der Tat kein Außerhalb, kein „Entkommen“ vor dem Imperativ zum Genuss gibt. Der antiklimaktische Refrain zeigt uns aber die veränderte Form dieser Party selbst: Sie ist eine müde, eine von der Last der Faszination und des Befehls zum Genießen befreite Party. Die Party verliert hier ihr Objekt a, ihr mysteriöses ‚gewisses Etwas‘, ihre Faszination. Das ist nicht die Botschaft des Die-Sterne-Songs „Du musst gar nix“ (2020). Du musst feiern! Aber keiner kann dir befehlen, dabei Spaß zu haben.
1 „Nichts zwingt jemanden zu genießen, außer dem Über-Ich. Das Über-Ich, das ist der Imperativ des Genießens – Genieße!“ (Lacan 1986, S. 9).
2 https://youtu.be/z1bgqUlMerI?feature=shared&t=472.
Literaturverzeichnis
Die Sterne u. The Düsseldorf Düsterboys (2020): „Du musst gar nix!“. [PIAS] Recordings. https://www.youtube.com/watch?v=0aIvAJ3OXac [27.12.2023].
Finkelde, Dominik (2022): Das Objekt, das zu viel wusste. Eine Einführung in die Philosophie nach Lacan. Wien: Turia+Kant.
Goetzmann, Lutz (2023): „Ist die Moderne tatsächlich postödipal?“, in: Y – Zeitschrift für atopisches Denken 3(11), 2.
Lacan, Jacques (1986): Encore. Das Seminar von Jacques Lacan, Buch XX (1972-1973). Weinheim/Berlin: Quadriga.
Vulfmon (2023): „I can’t party“. Vulf Records. https://www.youtube.com/watch?v=FoIEvrF3LPE [27.12.2023].
Autor:in: Nico Graack studiert Philosophie und Informatik in Kiel und Prag. Er arbeitet als freier Autor und Journalist.