Sandra Dörrenbächer
Y – Z Atop Denk 2025, 5(11), 1.
Abstract: In ihrem Beitrag geht die Autorin der Frage nach, wie der Film Parasite (2019) über die Inszenierung des ‚Grenzbegriffs zwischen Körperlichem und Psychischem‘ Aspekte sozialer Ungleichheit veranschaulicht. Ausgangspunkt der Betrachtung ist die filmische Darstellung der sinnlichen Dimension, das Riechen, das Sehen, das Spüren, die zugleich in spezifischen Gegenübertragungsdynamiken bei den Zuschauenden wirksam wird. Die sinnlichen und sozialisatorischen Bezüge verweisen auf Prozesse des eigenen Geworden-Seins, der Selbst-Werdung, die sich in einem Spannungsfeld zwischen ‚Parasit‘ und ‚Wirt‘ vollziehen. Das Verhältnis erweist sich hierbei nicht als eine einseitige Ausbeutung, sondern als destruktiver Kreislauf wechselseitiger Abhängigkeit, der unbarmherzig nach außen wie nach innen wirkt: Wirt und Parasit, Wirt und Gast im selben Körper.
Keywords: Psychoanalyse des Films, Parasite, Sinnlichkeit und Körper, soziale Ungleichheit
Copyright: Sandra Dörrenbächer | Lizenz: CC BY-NC-ND 4.0
Veröffentlicht: 30.11.2025
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Y - Z Atop Denk 2025, 5(11), 1
„L’hôte double – Wirt und Gast in einem Wort, […], gibt und empfängt, bietet an und willigt ein, lädt zu Gast und wird geladen, ist Hausherr und Fremder, […]. Es kann gefährlich sein, nicht zu entscheiden, wer l’hôte, wer da Gast und wer Wirt ist, wer gibt und wer empfängt, wer Parasit ist und wem die Tafel gehört, wer die Gabe und wer den Schaden hat und wo in der Gastfreundschaft, in der hospitalité, die Feindseligkeit, die hostilité, beginnt. […]
Hôtes und Parasiten sind stets auf der Durchreise, sind Abgewiesene, Wanderer, einsame Spaziergänger. Sie tauschen ihre Rollen in einem Raum, den es zu definieren gilt. Ein Wort, das aus demselben Munde den Einladenden wie den Geladenen atmet.“ (Serres 2022, S. 31 ff. [Herv. d. Verf.]).
Der Film Parasite von Bong Joon-ho (2019) verhandelt die Dynamik des Parasitären auf individueller und gesellschaftlicher Ebene und hebt sie hierbei eindrucksvoll ins Körperliche. Der Film schildert die symbiotische, gleichsam unausgeglichene, Beziehung zwischen zwei Familien, einem ‚Wirt‘ oder ‚Gastgeber‘ (der reichen Familie Park) und einem ‚Parasiten‘ oder, wenn man so möchte, ‚Gast‘ (der mittellosen Familie Kim). Dabei bleibt diese Auseinandersetzung nicht nur narrativ, sondern wird sinnlich erfahrbar: Die Interaktion der beiden ungleichen Familien entfaltet sich in ihren Körpern, in den sinnlichen Wahrnehmungen und den Räumen, die sie besetzen und teilen, eine Dynamik des Parasitären im Körperlichen. Sinnliche Elemente, wie Geruch oder Anblick, verdichten latente Machtstrukturen und soziale Konflikte: der wohlhabende und der verarmte Körper, der besetzte und der besetzende Körper. Wirt und Gast. „L’hôte double“ (Serres 2022, S. 31).
Als ich mir den Film Parasite zum ersten Mal ansah, war es, als dringe die sinnliche Intensität der dargestellten Spannungen unmittelbar in mich ein. Einige szenische Elemente: eine bedrückend enge Kellertreppe, die sich aus einem prachtvollen Oben in die düstere Schäbigkeit eines Unten verliert; ein heiteres Kinderfest, das abrupt in ein Feld brachialer Gewalt umschlägt; und jener alles übertünchende Geruch des zutiefst Trennenden, der das Filmgeschehen tragisch durchzieht. Mehr als nur ein olfaktorisches Moment verdichtet sich der Geruch zur Verkörperung einer tiefen sozialen Kluft. Es ist, als sei dieser Geruch selbst ein parasitäres Element, das die Grenzen zwischen den Figuren markiert und zugleich übertritt und mich als Zuschauerin hier mit allen Sinnen einnimmt: Die soziale Wucht der Geschichte anschauen und förmlich riechen, dadurch umso intensiver sinnlich spüren müssen.
Dieser Zustand löste in meiner Gegenübertragung eine deutliche Reaktanz aus. Es war, als ob ich das Eindringliche, das mich erfasst hatte, von mir stoßen wollte: da schien es mir zu widerstehen, den Film im Rahmen einer kollegialen Filmbesprechung erneut, und dann abermals, anzuschauen. Einmal sollte doch genügen, das Wesentliche schien damit doch vielleicht schon erfasst.
Doch in dem Versuch, den Film ja eigentlich tiefer begreifen zu wollen, fragte ich mich, ob ich nicht vielmehr bemüht war, das zutiefst Unbehagliche, das Fremde darin, für mich zu entschärfen. Einerseits war da das Bedürfnis, es (‚ES‘) von mir weisen zu wollen, andererseits das Gefühl, mich dem auch nicht ganz entziehen zu können. Hier scheint der Film eine Dynamik zu entfalten, die an Julia Kristevas (1982) Konzept des Abjekten erinnert. Das ‚Abjekt‘ ist „das Ekelerregende, Auflösung bringende, nach dem sich das werdende Subjekt zwar einerseits sehnt, wovon es sich aber trennen muss, um zu einer eigenständigen Existenz zu gelangen“ (Spambalg-Berend 2017, S. 2). Kristeva beschreibt hierbei die Abjektion als eine Bewegung, bei der das Subjekt das Fremde und Ungeformte, das, was „noch gar nicht bedeutet“, vom Sein abtrennt (ebd., S. 36). Es ist die Trennung von etwas, das „unangenehm ist, noch bevor es benannt werden kann“ (ebd., S. 35), noch bevor es psychisch repräsentiert ist.
„Das Ich ist vor allem ein Körperliches“ (Freud 1923, S. 253) oder „Das Subjekt war nie ohne Körper“ (Bürgin 2022, S. 271).
Die somato-psychische Dimension
Freud beschreibt die Triebe als „psychische Repräsentanten der aus dem Körperinnern stammenden, in die Seele gelangenden Reize“ (Freud 1915, zit. nach Mitscherlich et al. 1989, S. 76) und bezeichnet sie als „Grenzbegriff zwischen Körperlichem und Psychischem“ (ebd.). Körperliche Empfindungen werden dabei psychisch verarbeitet; nicht als flüchtige ‚Stoßkraft‘, sondern als ‚konstante Kraft‘, die unablässig in psychische Bedeutung (Repräsentation) treibt, jedoch zunächst formlos im Zustand des Unrepräsentierten beginnt (und im Falle „verkapselter kinetischer Engramme“ manchmal auch dort verbleibt: Leikert 2019, S. 21). Leikert beschreibt den Körper als einen „Aufbewahrungsort unbewusster präsymbolischer Elemente“ (ebd.). Die Körperrepräsentanz wird zur primitiven Form einer psychischen Selbstrepräsentanz.
Der Körper in seinem sinnlichen Gewordensein und seine Darstellung im Symbolischen
In der psychosexuellen Entwicklung lassen sich zwei ineinander verwobene Ebenen unterscheiden: eine unmittelbare, sinnlich-leibliche und eine thematische oder symbolische Ebene, die diese Erfahrungen in psychische Bedeutungen übersetzt. Entscheidende Selbsterkenntnis entsteht genau an der Schnittstelle dieser Dimensionen, dort „in der Konvergenz von Sinnes- und Sinn-Erfahrung“ (Rugenstein 2016, S. 76). Freuds Konzept der Triebe als ‚Grenzbegriff‘ zwischen Körper und Psyche verdeutlicht das spannungsreiche Verhältnis dieser Ebenen.
„Die Spuren von bedeutungsvollen Anderen im eigenen Körper lassen sich nicht entfernen“ (Bürgin 2022, S. 271).
Der „soziale Leib“ und die sozialisatorische Dimension
Das Triebkonzept lässt sich, wie Storck beschreibt, als „durch frühe körperliche Interaktionen geweckt“ verstehen (Storck 2016), in denen Erregung durch sinnliche Beziehungsszenen entsteht. Nach Laplanche speist sich das Unbewusste aus ‚rätselhaften Botschaften‘, die in frühen Interaktionen durch den (erwachsenen) Anderen in den Körper eines Kindes eingeschrieben werden und dort „dem Kind […] zur Übersetzung aufgegeben sind“ (Laplanche 2004, S. 898): ein Vorgang, der etwas potenziell Übersetzbares, wenn auch nur in Teilen, enthalten kann (‚Implantation‘), oder aber etwas, bei dem jede Übersetzung notwendig scheitert, etwas (quasi) Traumatisches, „was man das »eingeklemmte Unbewußte« nennen könnte“ (ebd., S. 903: ‚Intromission‘).
Die frühen Austauschprozesse sind Teil eines sozialisatorischen Prozesses, der den Körper als Ort sowohl individueller als auch kultureller Prägung sichtbar macht. Auch Kristevas Konzept der Abjektion verdeutlicht diese Verbindung: Es beschreibt „nicht nur de[n] […] erste[n] Schritt der Subjektwerdung, sondern auch de[n] […] erste[n] Schritt zur Konstitution einer kulturellen Ordnung und gleichzeitig de[n][...] Mechanismus zu deren Aufrechterhaltung“ (Pfaller u. Schetsche 2021, S. 1 [Herv. d. Verf.]).
Im Film Parasite wird die Idee von Körperlichkeit, oder vielmehr Leiblichkeit, in ihrem Treiben in psychische Repräsentation sowie in ihrem sozialisatorischen Bezug, auf eindringliche, ja ein-dringende, Weise dargestellt. Die Figuren und ihre Beziehungen zueinander werden dabei maßgeblich über ihre Körper mit ihren sinnlichen Wahrnehmungen definiert:
Sinnlichkeit im Riechen und soziale Differenz
Die Parks in ihrer gepflegten Erscheinung mit ‚Wohlgeruch‘ gegenüber den Kims mit ihren körperlichen Signaturen der Armut, einem ‚abfälligen Gestank‘. Die Körper werden zu unmittelbaren Reflexionen von sozialer Identität und Machtverhältnissen. Der ‚Kellergeruch‘ der Kims, den die Parks herabwürdigend kommentieren, wirkt hierbei wie eine nicht sicht-, jedoch riechbare soziale Markierung. Bürgin beschreibt, wie bereits ein Säugling die Weigerung des Anderen, „die Gerüche seines Körpers aufzunehmen, […] als […] tiefe Zurückweisung einer der basalsten Aspekte des Selbst“ empfinden mag (Bürgin 2022, S. 272). Entsprechend trifft die geäußerte Reaktion von Herrn Park gegenüber Herrn Kim als zutiefst verletzende Kränkung und löst nicht nur körperliche, sondern eben auch psychische Reaktionen aus, die schließlich in gewaltsamer Eskalation ihren tragischen Höhepunkt erreichen. So zeigt Herr Kim, dessen Ärger über die Degradierung seines Geruchs vielleicht einen zentralen Wendepunkt des Films darstellt, wie eng körperliche Wahrnehmung mit psychischer Bedeutsamkeit und Bedeutung für das Selbst verbunden sind.
Als Zuschauerin erfasste mich zunächst eine Mischung aus Scham und Ärger, als die Parks die Kims durch vermeintlich beiläufige, doch zutiefst abfällig wirkende Gesten, wie das Nasezuhalten, entwürdigten, dabei zugleich ihre Macht und Überlegenheit demonstrierend. Ein spontanes Gefühl von Ungerechtigkeit entstand in mir und ließ mich mit den Kims solidarisch werden. Doch etwas Wesentliches blieb mir bis zu diesem Punkt verschlossen: Die Reaktion der Parks scheint vielmehr eine Bemühung, das unrechtmäßige Eindringen einer fremden Entität, eines fremden Körpers, eines Fremd-Körpers, in ihre vermeintlich geordnete und reine Welt zu verhindern, da dies zugleich existenziell bedrohlich wäre – sowohl konkret von außen, durch die Familie Kim, als auch von innen, durch sich selbst. Denn hinter der scheinbar makellosen Ordnung der Parks steht ihrerseits eine eigene Geschichte, die nicht immer durch Privilegien gezeichnet war. Der ‚Gestank‘, den Herr Park bei Herrn Kim als unerträglich abstoßend markiert, scheint ihm nämlich zugleich zutiefst vertraut, lässt eine verdrängte Erinnerung an die eigene mittellose, ‚schäbige‘ Herkunft aus dem Unten aufsteigen, eine bedrohliche Erinnerung an dort, wo er früher selbst einmal war, wohin er nicht mehr zurück will, was er um jeden Preis von sich weisen möchte, denn: „Werden kulturell etablierte Grenzen überschritten, wird auch die psychische Integrität des Subjektes bedroht“ (Pfaller u. Schetsche 2021, S. 1). Der ‚Kellergeruch‘ der Kims bringt Herrn Park demnach in Kontakt mit sich selbst in seinem eigenen ‚schäbigen‘ Gewordensein.
So mag Herr Park in diesem Moment eigentlich vielmehr sich selbst nicht mehr riechen.
… „ist Hausherr und Fremder“ (Serres 2022, S. 32).
Sinnlichkeit im Sehen und soziale Differenz
Der Blick verweist im Film einerseits auf eine voyeuristische Faszination der Kims, die das Leben der Parks heimlich beobachten und begehren, sodass der Blick enthüllt. Andererseits wird der Blick zur Quelle der Erniedrigung, als die Kims ungnädig unter dem Sofa der Parks liegen, während diese sich auf dem Sofa sexuell stimulieren. Wie in Freuds Konzept der ‚Urszene‘ erleben die Kims die sexuelle Handlung der Parks in dieser Situation als fremdartig und sich selbst dabei und zugleich doch nicht dabei; hier trennt der Anblick und schließt aus. Die Tragik des Films entfaltet sich in derselben Szene auch in der Unmöglichkeit wahrhaftiger Begegnung: Der sexuelle Akt der Parks wirkt weniger wie ein Moment der Liebe, sondern vielmehr wie eine mechanische Handlung, entleert von Leidenschaft und echter Bezogenheit. Ihre Intimität erscheint eigenartig ent-fremdet voneinander. Selbst im vermeintlich freien Sein bleiben sie so doch in ihrer sozialen Ordnung gefangen.
„Hôtes und Parasiten sind stets auf der Durchreise, sind Abgewiesene, Wanderer, einsame Spaziergänger“ (Serres 2022, S. 33 [Herv. d. Verf.]).
Ein Körper des Mangels...
Orale Motive spiegeln die elementaren Bedürfnisse der Familie Kim wider. Ihr Streben nach Nahrung wird hierbei zum Sinnbild für ihre Sehnsucht nach Teilhabe, nach sozialem Aufstieg. Dies zeigt sich besonders eindrücklich in der Szene, in der die Kims während der Abwesenheit der Parks deren Überfluss auskosten und sich in einem exzessiven Mahl in deren Haus verlieren. Doch der Genuss des Überflusses der Parks bleibt für die Kims letztlich eine Illusion. Ein Begehren, das im Kern stets unerfüllt bleiben muss (ähnlich Lacans désir, das in der Tradition des manque und des niemals vollständig zu Erreichenden steht), dessen flüchtige Momente der Annäherung jederzeit abrupt durch die symbolische Ordnung verschoben, überformt oder neu strukturiert werden können. Dies zeigt sich besonders in der Szene, in der Mutter Kim in ihrem parasitären Genuss abrupt unterbrochen wird und sich plötzlich gezwungen sieht, für den unerwartet zurückkehrenden Sohn der Familie Park Ram-don zuzubereiten und so ihre eigenen Wünsche und Genüsse wieder dem Gesetz der Macht unterstellt. Dadurch wandelt sich das Begehren in eine, zunächst subversive, Aggression gegen das Unerreichbare.
„Es kann gefährlich sein, nicht zu entscheiden, […] wer Parasit ist und wem die Tafel gehört, wer die Gabe und wer den Schaden hat“
(Serres 2022, S. 32).
… wird zu einem Körper der Aggression.
Der Angriff mit dem Pfirsich auf die frühere Haushälterin wird zu einem Symbol dieser Aggression. Die Frucht, eigentlich etwas Nährendes, wird hier zur subversiven Waffe. Der Pfirsich, der von den Parks geschätzt, aus Rücksichtnahme auf die Haushälterin jedoch bewusst gemieden wird, wandelt sich durch den Eingriff der Kims zu etwas Abstoßendem. Der allergische Körper der Haushälterin macht das einst Genießbare zur Bedrohung. Parasiten tragen indes eine ihnen innewohnende Aggression: Sie leben auf Kosten ihres Wirts, schwächen ihn und können ihn schließlich zugrunde richten. In Parasite wird das Haus der Parks zur zentralen Bühne eines solchen zerstörerischen anal-sadistischen Machtspiels. Der Konflikt im dunklen Keller, in dem die ehemalige Haushälterin und ihr Mann (die aus dem Untergrund, dem Unten, wirkenden Parasiten) um ihr Überleben ringen, lässt schließlich das gesamte System zerfallen. Der Film kulminiert in einem Kinderfest, in dem sich plötzlich rohe physische Aggression mit wilder Tötung zwischen den Klassen Bahn bricht. Der Körper wird hier zur ultimativen Waffe: In Hopfs Darstellung wird dies treffend beschrieben als das Wirken einer „wilden Bestie, der die Schonung der eigenen Art fremd ist“ (1996, S. 51).
… „und wo in der Gastfreundschaft, in der hospitalité, die Feindseligkeit, die hostilité, beginnt. […]“ (Serres 2022, S. 32).
Résumé
Parasite, ein leibliches Drama, über das Parasitäre im Körperlichen, über Wirt und Gast im selben Körper. Die Metapher des Parasiten verbindet Freuds Konzepte von somatischer und psychischer Repräsentation (somato-psychische Dimension des Triebs) mit einer tiefgehenden sozialen Kritik (sozialisatorisches Verständnis des Triebs). Dieser Gedanke findet eine unmittelbare Entsprechung im Film, der den Parasiten nicht nur als biologisches, sondern ebengerade auch als somato-psychisches und soziales Phänomen sichtbar macht. Der Film Parasite zeigt, wie das Begehren des unterprivilegierten Körpers (die vermeintlichen Parasiten) die scheinbar makellose Ordnung des privilegierten Körpers (des vermeintlichen Wirts) herausfordert und destabilisiert. Dabei wird deutlich, dass das parasitäre Verhältnis jedoch keine einseitige Ausbeutung darstellt, sondern ein wechselseitiger aggressiv-destruktiver Kreislauf ist, in dem Wirt und Parasit untrennbar miteinander verbunden und doch in sich zutiefst getrennt sind – was man unbarmherzig sieht, was man unbarmherzig riecht, was man unbarmherzig spürt…
Ich habe den Film nun mehrmals angeschaut. Er widersteht mir noch immer. Es bleibt etwas zutiefst Unbehagliches, Fremdes darin zurück. Etwas, was sich dem Zugriff entzieht, aber zugleich nicht mehr aus dem Inneren weichen will. Ambivalenz. Ich möchte den Film nicht noch einmal sehen (Abgestoßensein). Je mehr ich jedoch nun über ihn schreibe, desto weniger kann ich damit aufhören, ihm nachzuspüren, mich weiter hineinzudenken, zu fühlen (Angezogensein). Abjektion. Ich dringe irgendwie immer tiefer in den Film ein. Oder er in mich?
Wer ist Wirt und wer ist Gast?
‚Wirtlich‘ bedeutet ‚Gastlich‘...
„L’hôte double. […] Sie tauschen ihre Rollen in einem Raum, den es zu definieren gilt. Ein Wort, das aus demselben Munde den Einladenden wie den Geladenen atmet.“ (Serres 2022, S. 32).
Literaturverzeichnis
Bürgin, Dieter (2022): Die Vitalität der präverbalen Psyche: Psychoanalytische Konzepte über das erste Lebensjahr: der Aufenthalt und die Arbeit im Unentfalteten. Frankfurt/M.: Brandes und Apsel Verlag.
Freud, Sigmund (1989 [1915]): Psychologie des Unbewußten. Studienausgabe, Bd. III. Hg. von Alexander Mitscherlich, Angela Richards u. James Strachey. Frankfurt/M.: S. Fischer Verlage.
Freud, Sigmund (1923): Das Ich und das Es. Leipzig/Wien/Zürich: Internationaler Psychoanalytischer Verlag.
Hopf, Hans (1996): „»... eine wilde Bestie, der die Schonung der eigenen Art fremd ist« Die historische Entwicklung des Aggressionsbegriffes in der Psychoanalyse und die verschiedenen Gesichter der Aggression in den kindlichen Entwicklungsphasen“. In: Analytische Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapie 27 (89, 1/1996), S. 51-71.
Kristeva, Julia (1982): Pouvoirs de l'horreur. New York: Columbia University Press.
Lacan, Jacques (2013 [1958-1959]): Le séminaire, livre VI. Le désir et son interprétation. Paris: Éditions de La Martinière (beaux livres).
Laplanche, Jean (2004): „Die rätselhaften Botschaften des Anderen und ihre Konsequenzen für den Begriff des »Unbewußten« im Rahmen der Allgemeinen Verführungstheorie“. In: Psyche 58 (9-10), S. 898-913.
Leikert, Sebastian (2019): Das sinnliche Selbst: das Körpergedächtnis in der psychoanalytischen Behandlungstechnik. Frankfurt/M.: Brandes und Apsel Verlag.
Pfaller, Larissa u. Schetsche, Michael (2021): „Theorie und Phänomenologie des Abjekts“. In: cultura & psyché 2 (1), S. 1-6.
Rugenstein, Kai (2016): „Zu einer tiefenpsychologischen Hermeneutik des Leibes“. In: Paragrana 25 (1), S. 76-86.
Serres, Michel (2022 [1980]): Der Parasit. Berlin: Suhrkamp Verlag.
Spambalg-Berend, Eva (2017): Dramen der Abjektion: Der Umgang mit den "Mächten des Grauens" in den Theaterstücken Sarah Kanes. Trier: WVT Wissenschaftlicher Verlag.
Storck, Timo (2018): Trieb (Grundelemente psychodynamischen Denkens: Konzeptuelle Kritik, klinische Praxis, wissenschaftlicher Transfer). Stuttgart: Kohlhammer.
Filmverzeichnis
Parasite. Südkorea 2019. Regie: Bong Joon-ho. 132 Minuten.
Autor:in: Dr. Sandra Dörrenbächer, M.Sc. Psych., ist psychologische Psychotherapeutin für Kinder, Jugendliche und Erwachsene mit erweiterter tiefenpsychologischer Fachkunde und befindet sich derzeit in psychoanalytischer Weiterbildung in Mainz und Saarbrücken. Sie arbeitet als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität des Saarlandes in Forschung und Lehre mit psychodynamischem Schwerpunkt und ist ambulant psychotherapeutisch tätig. In ihrer Forschung befasst sie sich unter anderem mit kulturbezogenen Entwicklungsprozessen im Jugendalter sowie in der in die frühe Erwachsenenphase „entgrenzten“ Jugend (Phase der Postadoleszenz). Ein weiterer Schwerpunkt ihrer Forschung liegt auf neuropsychodynamischen Fragestellungen.
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