Bergsteigen

Ulrich Moser

Y – Z Atop Denk 2024, 4(2), 2.

Originalarbeit

Abstract: Ausgehend von persönlichen Erfahrungen beschäftigt sich der Autor mit dem Phänomen des Bergsteigens. Er kommt zu dem Gedanken einer Kletterei im Traum, und dass das Bergsteigen in einer Mikrowelt geschieht bzw. diese erschafft. Von hier aus analysiert er mit den Mitteln seiner Traumanalyse die Schilderung einer Bergtour, die Albert Vinzens publizierte. Dieser kletterte mit einem Freund im Spätsommer 1980 auf der Magic Mushroom Route durch die senkrechte und überhängende Granitwand des El Capitan im Yosemite, Kalifornien. Unmittelbar unter dem Ausstieg stürzt der Freund und stirbt in den Armen seines Kameraden. Der Autor betrachtet diese Expedition als eine sequentiell strukturierte Mikrowelt und stellt das Bergsteigen damit in einen psychoanalytischen Kontext, in welchem auch die vergessenen Mikrowelten der Kindheit aufscheinen.

Keywords: Bergsteigen, Mikrowelt, Traumanalyse, Interrupt, Imagination

Veröffentlicht: 29.02.2024

Artikel als Download: L’imagination materiélle



1. Punta Rasica

„An geeigneter Stelle über dem Bergschrund. Dann über eine zumeist vereiste Firnwand hinauf zu den Felsen der Colle Rasica. Man hält sich erst südlich des messerscharfen Grates, dann auf demselben. Ein steiler Grataufschwung wird am linken, südlichen Rand eines Stemmkamins und zuletzt in diesem selbst erklettert. Dann direkt über den Grat schräg zum Vorgipfel am Fusse des Gipfelblockes hinauf. Nun über die messerscharfe Südostkante des Gipfelturms zum höchsten Punkt. Zuunterst ist die Kante überhängend. Um den Einschnitt zwischen Vorgipfel und Gipfelblock zu überschreiten, steigt man etwas ab und sucht, indem man auf einer losen Platte oder der Schulter des Kameraden steht, die Kante möglichst hoch dem Überhang zu packen. Mit dem linken Fuss links der Kante anstemmend zieht man sich hinüber und nimmt die Scheide zwischen die Knie. In anstrengender Arbeit schiebt man sich mit Händen und Knien äusserst exponiert zu einer Zacke in halber Höhe hinauf. Schnaufhalt! Von der Zacke weg in gleicher Weise noch einige Meter empor. Dann nach rechts und über leichte Felsen zum Gipfel.“ (Rütter 1936, S. 98 ff.).1

Wir waren zu dritt, ich der Novize. Walter Bonatti war mein Ideal. Er hat bekanntermassen zu einer gewissen Zeit die Extremkletterei verlassen.

Mein Vater war ein begabter Kletterer, ein Alleingänger wie Bonatti. Er stürzte ab. Ich war sieben Jahre alt. So wie mein Vater zu werden, war für mich klar und so verschwand ich, wann immer möglich, in den Bergen.

Die Punta Rasica wurde sehr viel später Objekt meiner Mythologie. Unlängst habe ich Kluckers Grab im Fextal besucht.

Was bleibt im Alter? Unerfüllte Träume von Routen und Besteigungen. 79 Jahre Mitgliedschaft2 im Alpenclub.

Im pakistanischen Teil des Himalayas entkam mein Sohn knapp dem Tod. Sein Kamerad blieb auf immer verschollen. Das zur Generationenfolge.

Meine Zeit war die Zeit der freien Kletterei. Die ersten Hilfsmittel wurden ausprobiert. Mit illusionären Sicherungsmittel ging man hohes Risiko ein. Immerhin, die rote Lawinenschnur hat mich vor dem Tode gerettet.

Das zu meiner Biographie.

Die Szene mit der Punta Rasica erlebte ich als eine Bewährung. Man steht auf einer losen Platte und springt hinüber an einen messerscharfen schmalen Grat. Auf beiden Seiten ist ein Abgrund ohne Halt mit abweisenden Platten. Eine Anklammerung mit Händen und Füssen aus dem Sprung heraus, die adhäsive Kraft der Hände. Ich hatte Angst, Schwindel könnte mich befallen. Ich könnte den Atem verlieren. Ziehende Nebelschwaden über den Grat fördern bekanntermassen Schwindel. Soll man vertrauen, dass das Sicherungsseil der Kameradin halten würde? Aus der Sichtweise des Psychoanalytikers gelingt das nur durch ein kontraphobisches Verhalten. Danach erfolgt die Zufriedenheit auf dem Gipfel. Ein philobatisches Gefühl der Weite, der Befreiung und auch des Triumphes (vgl. Balint 1960; Warsitz 2020)? Die oknophile Phase der Anklammerung ist vorerst vergessen.

 

2. Der Berg, eine Mikrowelt

Ein Bergsteiger, ein Kletterer, sucht und eröffnet ein Positionsfeld. Er selbst konstituiert sich als ein Subjektprozessor (SP)3. PLACE, ORT4 ist der Berg als Ganzes oder ein Teil davon (Wand, Grat). Die Mikrowelt ist ausschliesslich, das heisst, bei Konkretisierung hat höchstens eine parallele zweite, bewusste oder unbewusste Mikrowelt Platz, nicht aber eine zweite konkrete. Person-Objekte sind dann da, wenn es sich um eine Seilschaft handelt. Reverien werden nur in Pausen zugelassen. Die Mikrowelt ist voller Trajektorien, sie können ad hoc gelegt werden oder sind bereits durch Routenführer festgelegt. Erstbesteigungen geben stark erhöhte Rückmeldungen, die das Selbstgefühl der Meisterung, der narzisstischen Bestätigung des Selbstprozesses, verstärken. Dies wird auch motivational gesehen und gesucht. Warsitz sieht die Wurzel des Bergsteigens in narzisstischen Bedürfnissen:

„Dort will er die Spuren seiner selbst wiederentdecken, er erkauft sich aber auf diese Weise seinen Höhenrausch um den Preis einer tiefen Beziehungskrise mit der Gefahr eines schweren Bindungsverlustes und zugleich der Gefahr realer Selbstgefährdungen eines Körpers.“ (Warsitz 2020).

Immerhin, es ist zum Teil zu korrigieren, sofern von einer Seilschaft die Rede ist. Die Nabelschnur5 zeigt auch Sorge um die Sicherheit des oder der Anderen auf dessen Fürsorge und Sicherung man andererseits angewiesen ist. Bindung geht ein in die Seile und in das trügerische Angebot der Felsen und des Eises, Möglichkeiten des Halts zu bieten.
Was befürchtet wird, ist der Sturz ins Leere, der Aufschlag auf die Wand und die Fraglichkeit der Rettung. Die wacklige Platte in der Gipfelscharte der Punta Rasica: Ein Grund, den man benutzen muss, obwohl, so erinnere ich mich, man nicht weiss, ob er unter den Füssen rutschen wird und in die Tiefe fällt.

Der Abstieg wird selten beschrieben. Dabei geschieht in dieser Phase ein grosser Teil von Abstürzen. Auch meine Angst galt eher dem Abstieg, natürlich nicht den genussvollen Phasen des Abseilens. Auch damals, zum Glück am Fusse einer Eiswand, verfing sich eines meiner Steigeisen im Hosenbein, kein Sturz, doch eine Rutschpartie für alle. Ursache war meine Ermüdung. Der Schreck fuhr in meine Knochen, denn immerhin habe ich meine Kameraden einer Bedrohung ausgesetzt. Verantwortung passt als Qualität nicht in das Syndrom des Narzissmus.

Ist die Beziehung zum Felsen und oder dem Eis eine aggressive intrusive, wenn im technisierten Klettern gebohrt und Haken geschlagen werden? Wehrt sich der Berg, indem er die Halterung lockert und auswirft? Wird das Subjekt von sich weggeschleudert?
Der Alleingänger Warsitz hängt im Seil, schlägt pendelnd an die Wand, erlebt die Möglichkeit des Todes und verliert die philobatische Lust des Thrillers. Gewinn an Weite, an Befreiung „[…] von den Niederungen und von den Schatten der Vergangenheit […].“ (Warsitz 2020, S. 441). Der Selbsterfahrungstrip endet. Weinend sitzt er am Fusse der Wand, noch voller Angst sowie voller Scham über die eigenen kardinalen Fehler dieser Kletterei. Jahre später schreibt er diesen Ausgang einer persönlichen Beziehungskrise zu (vgl. Warsitz 2020, S. 438 ff.).

Der Berg ist Objekt persönlicher oder gesellschaftlicher Mythologie. Insbesondere Extrembergsteiger publizieren gerne ihre Erlebnisse und zitieren Philosophen. Und auch Philosophen benutzen die Metapher des Steigens und Stürzens, beides als Sinnkrisen menschlicher Existenz: „Bewegte ich mich doch so in den höchsten Sphären des Heidegger’schen Seyns […].“ (Warsitz 2020, S. 443).

Jede Trajektorie ist die Spur eines Dramas, in das ein Bergsteiger schicksalshaft hineingezogen wird.6 Sturz hat als Thema ganze Vorträge und Bücher gefüllt. Trivial bei Trenker (1936) oder poetisch z. B. bei Vinzens (1998; 2020). Verstiegenheit ist eine schöne Metapher, s. Binswanger (1956), in den Bergen eine häufige Unfallsquelle.

Psychoanalytische Deutungen bieten sich an. Allen liegt der Prozessor der Animierung, respektive der Personifizierung, zugrunde. Zunächst ist die Überwindung von Gefahr kontraphobisch. Die Besteigung ist ein Erfolg im ödipalen Sinn, grösser und stärker als der Vater zu sein. Der Sturz nach dem Sieg, das Scheitern nach dem Erfolg (vgl. Freud 1940; Laforgue 1944).

Andererseits ist in dieser Mikrowelt nicht alles destruktiv oder selbstdestruktiv. Es gibt auch eine Erotisierung der Beziehung zur deanimierten Substanz Fels oder Eis. Die Haut des Berges, der Charme des kalten Eises, erzeugt sinnliche Erotik. Berg ist nicht gleich Berg, jede Wand hat eine eigene Struktur: Granit, Gneis oder Kalk. Es gibt unterschiedliche Qualitäten der Berührung. Ist die Beziehung aggressiv, dann zählt nur der Widerstand, den es zu bewältigen gilt. Die Personifizierung des Berges liegt sehr nahe. „Die Berge, seine Freunde“ – Inschrift einer Erinnerungstafel meinem Vater gewidmet.

Es wird schon hier deutlich, die Mikrowelt Berg ist strukturiert wie die Mikrowelt Traum. Auch der Traum als Phänomen des Schlafes schliesst andere konkrete Mikrowelten, z. B. jene der Beziehung zu einer Frau oder zu Kindern, aus.

 

3. Mythologie, Theorien, Interpretation

Berge waren immer Ort der Kraft, einerseits des Schutzes, andererseits der Destruktion, in ihrer Höhe nahe an Gott. Oder ein Reduit für Ausgestossene, Bedrohte und Freiheitskämpfer.7 Eine magische Kraft wird ihnen zugeschrieben. Wer sie bezwingt, hat diese Macht übernommen.

Warsitz (2020) ist den Motiven des Bergsteigens nachgegangen. Nach der Schilderung seines persönlichen Scheiterns als Alleingänger beschreibt er die vielen Interpretationen, die oft auch philosophischen Überlegungen oder zu psychoanalytischen Deutungen scheinbar stimmig zur eigenen Mythologie werden.

Lässt sich z. B. die Liebe einer Frau nicht gewinnen, so kann der Berg, respektive die Berge, tröstlicher Ersatz sein und die psychische Einsamkeit kann durch jene von Felsen und Eis, von einer Welt der Unwirklichkeit, ersetzt werden. Die Flucht von der Frau zuhause mag in der patriarchischen Zeit eine Motivation gewesen zu sein (vgl. Warsitz 2020).8

Der Berg ist nicht nur in unbewusster Phantasie der Vater, sondern ebenso die Mutter. Gletscherschrunde sind verschlingende Genitalien, das unbekannte Weibliche lockt zur Eroberung. Viele Autoren sehen im Seil und im sichernden Begleiter die bewahrende Mutter. Kann nicht auch der Kollege ein zweites Ich sein? Repräsentiert das Seil nicht auch die Bindung an die Mutter, der man entfliehen will?

Was steckt hinter der realen Gefährdung des Eigenen (und auch des anderen): Lebenszeichen nicht lösbarer Konflikte zwischen narzisstischer Höhenfahrt, illusionärer Autarkie und oknophiler Anklammerung, mittels Haken, Klemmen und Eisröhren?

Oeltz (1994) spricht von einer verführenden Angst als motivationale Basis, die mit phallischen Mitteln (Bohrer, Hammer) penetrierend beseitigt werden soll.9 Oft wird eine untergründige selbstdestruktive Tendenz gesehen, die eine Suche nach Risiko auslöst.

Mitten in einer Kletterei in der führenden Position überfiel mich der Höhenschwindel. Ich brach die Tour ab. Es war eine vorübergehend negative Wirkung meiner persönlichen Psychoanalyse. Der Höhenschwindel verschwand, respektive zog er sich auf hohe, leicht im Winde schwingende Wohn-, Aussichts- und Arbeitstürme zurück.

 

4. Emotionales Wesen

In Beschreibungen des Kletterns dominieren zumeist (s. später) Vorgänge der Sicherheit, die rational beschrieben werden. Die sensorische Wachsamkeit, die angepasste motorische Reaktion. Es sind Situationen, die unabdingbar entscheidend für das weitere Vorgehen sind.

Diese rationale Seite hat auch zur Festlegung von Trajektorien in Clubführern geführt. Das Bild ist jedoch trügerisch. Im Einzelfall einer Erzählung tauchen explizite Affekte auf: Vor allem Angst, Verunsicherung und Ärger über den Berg, über die Wand und über die Vereisung der Felsen. Der Ausbruch eines Griffes löst Affekte aus. Der Berg rächt sich. Oder könnte es sein, dass der Kletterer nicht sorgsam geprüft hat? Gibt es Fehlleistungen, die sich in falschen Manipulationen äussert und unbewusste selbstdestruktive Impulse beinhalten? Und gibt es bei gelungenen Passagen nicht ein begleitendes Gefühl der Genugtuung, ein Selbstgefühl? Es gibt immer einen Weg weiter – diese Formel wischt die Affekte weg. Die Verleugnung von Gefahr führt zur Selbstüberschätzung und oft zum Tode oder zur Bildung einer narzisstischen Selbstüberwertung.

Damit taucht die Frage auf, ob nicht die Konstellation dieser Mikrowelt auch eine untergründige konfliktive Struktur besitzt und geeignet ist, deren Auswirkungen agierend Ausdruck zu geben, d.h. der inneren Spannung eines Konfliktes oder eines Traumas. Die affektiv besetzten Elemente können, aber müssen nicht zwingend, Bedeutung für Phantasien der Innenwelt haben. Damit sind wir in die Nähe des Schlaftraumes gekommen, der eine Bergtour oder -szene zum Inhalt hat. Das Träumen unterliegt aber nicht der weitgehenden Überlagerung durch rationale Darstellung. Das Klettern im Traum schildert Konflikte und unbewusste Phantasien in Form von affektiv gesteuerten, teilweise prälogischen Denkweisen.

Im späteren Teil dieser Arbeit wird versucht, die von uns entwickelte Codierung des Schlaftraumes in veränderter Form auch auf das Bergsteigen anzuwenden (vgl. Moser u. Hortig 2019).

Versuche dieser Art wurden bereits von Moser (2002) für die Poesie gemacht, ebenso für den Wahn (vgl. Moser u. Stompe 2008) und von erzähltem Text (vgl. Goetzmann et al. 2019).

 

5. Konkretistischer Traum

Aus der Geschichte der Bergbewohner ist bekannt, dass Mystifizierung und Personifizierung eines Berges üblich waren. Er war gefürchtet, ein Wesen, das die Strafe in Form von Lawinen, Bergstürze und Überschwemmungen ausführt. Geister bewohnen die Alpwirtschaften im Spätherbst bis zum Frühling. Mitunter sind es auch gute heimliche Mitbewohner. Der Berg ist auch erhaben, dem Himmel nahe und ist heiliggesprochen.10

Die affektive Bewertung des Berges hat sich zum Teil radikal gewandelt. Er ist Trainingsinstrument für narzisstische Bedürfnisse, ja geradezu Gegner im Zweikampf. Eine Reihe anderer Affekte werden attribuiert: Triumph, Mut, Angstüberwindung, im Alleingang oder im Erleben einer Seilbeziehung (nicht immer aus Freundschaft, sondern aus Notwendigkeit).

Mir selbst war ein bestimmter Berg in der Jugend Ort der Sehnsucht: Monte Disgrazia, jenseits der Grenze in Italien gelegen, zur Zeit des zweiten Weltkrieges deshalb unerreichbar.

„Langgestrecktes Dromedar mit dreihöckrigem Gipfelserpentin, die Füsse gespreizt im Moränenschutt. Eingepanzerte Flanken drohen über Gräben, Ziegen, Häusern. Kälte rollt durch die Glieder in die Rinnen und Wände zu den steinernen Dächern von Camerozzo, Caseri, Forbicino, Sissone, Mello, schlummernde Täler.“ (Moser 2006).

Das Dromedar, ein weiches, biegsames Stofftier, das ich mal geschenkt bekam und später Begleiter meiner Kinder wurde. Ein Muttertier zum Kuscheln.

Der Gang über den Gletscher mit altmodischen Kerzenlampen, das Biwak auf dem Monte Sissone, an der Grenze, ohne Ausrüstung, schlotternd. Der frühe Morgen, der weite Blick bis zum Apennin. Dunst über der Ebene des Po. Froh aufzubrechen. Ein Vorglück philobatischer Natur, beinahe euphorische Vorfreude auf das Kommende. Dann die Traverse der Disgrazia. Glücksgefühl auf dem Gipfel. Die Weitung der Mikrowelt.
Die Einbettung des Berges in die Täler. Die Neugier und Besorgnis um Menschen, die um den Berg herum leben und leben müssen. Die Weiler. Sind sie vom Krieg betroffen, entvölkert? Die Flanken des Berges: Eis, Weiden, Wälder, tiefste Einsamkeit. Auch wir sind völlig allein auf uns angewiesen. Dann der lange Weg zurück. Müde und doch stolz. Die Begehung war technisch nicht schwierig. Das Gipfelbuch enthielt sieben Jahre, des Krieges wegen, keine Einträge. So hing die Einsamkeit am Berg und in den tiefen Tälern schroffer Schönheit.

Was nicht vergessen werden soll, ist die gleichzeitig aktive kognitive Mikrowelt. Sie ist eng fokussiert auf die Aufgaben der Routensuche und der Bewältigungsstrategien. Ein Pionier einer neuen Trajektorie gibt das Gefühl, ein Pionier zu sein (s. dazu French 1952, das kognitive Feld).11

 

6. Capitan, Magic Mushroom, Yosemite Calif

6.1. Die allgemeine sequentielle Situation

Sieben Tage dauert die Kletterei auf dieser Route, bekannt durch den Überhang. Als Basis der folgenden Untersuchung habe ich die Schilderung von Albert Vinzens (2020) verwendet. Der Sturz und der ergreifende Tod eines Kollegen steht bei Vinzens im Vordergrund, nicht aber in der nun folgenden Studie.12

Wäre die Route eine Trajektorie in einem Traum, dann ginge diese nicht sieben Tage, sondern verliefe in Minutenlänge. Der Sturz käme einem Interrupt gleich, der zu einem Abbruch des Traumes führen würde. Ein Aussteigen im Traum ist besser möglich als aus einer Wand. Im Schlaftraum können drei Ebenen der affektiv-kognitiven Regulierung unterschieden werden, die interagieren. Es sind die Prinzipien der Sicherheit, der Wunscherfüllung sowie der Sicherung des Selbstbereiches und seiner Funktionen (vgl. Moser u. Hortig 2019). Die drei Regulierungen dominieren unterschiedlich. Der Grad an Sicherheitsgefühl entscheidet, wie weit ein Commitment in der Wunscherfüllung, respektive deren motivationalen Zielsetzung geht. Insofern das Gefühl der Identität gefährdet ist, überwiegen Überlebensstrategien. Deren Erfolg steckt den Umfang der Stabilität an Sicherheit und der Wunscherfüllung ab. Interrupts erzeugen Übergänge. Sicherheitsstabilität zielt auf Nicht-Veränderung, Wunscherfüllung auf Veränderung, auf Neugier, Erkundung und Suche nach einer erneuten Position der Sicherheit. Ein Vergleich zum Klettern verblüfft durch den analogen Ablauf. Der führt zu einem Versuch, Phasen des Kletterns zu codieren und auf diese Weise zu einer tieferen Analyse der psychischen Realität dieser Mikrowelt zu kommen.

Betrachtet man diese Expedition als eine sequentiell strukturierte Mikrowelt mit verschiedenartigen Situationen, dann ist es möglich, zunächst alle beteiligten Elemente und Verknüpfungen zu schreiben, die in unterschiedlicher Weise jeweils in den verschiedenen Zuständen beteiligt, d. h. instanziiert, sind. Die aus der Traumstruktur abgeleiteten Einheiten können in Elemente und Relationen eingeteilt werden. Elemente werden durch Relationen verbunden (s.o. Moser u. Hortig 2019).13 Abbildung 1 zeigt die allgemeine Situationssequenz:

Abbildung 1: Die allgemeine Situationssequenz (Moser u. Hortig 2019, S. 252 ff.).

Die Beziehung des Subjektes zum Berg ist durchgängig eine intendiert kinästhetische. Der Berg ist ein deanimiertes Objekt und enthält kein affektives und kognitives System. Insofern ist die Beziehung einseitig. In Schilderungen wird deutlich, dass die Wand personifiziert wird, entgegenkommend oder gefährlich. Die Perzeption ist immer explizit, bestehende Anleitungen werden identifiziert. Neue Trajektorien werden entdeckt. Die potentielle Trajektorie (als LTM bezeichnet) ist doppelt indiziert. Beginn und Ziel sind gesetzt.

Auffallend sind die Attributs- und die Means-Relationen. Es sind positionierte Verknüpfungen der 1-n Gegenstände der Ausrüstung. Relationen sind zu Beginn Potenziale innerhalb eines PLACE (Ort und Zustand). Sie sind Hilfsmittel, die den Körper ergänzen. Eine attributive Qualität kommt ihnen zu, da sie das Selbstbild und das Selbstgefühl gewaltig erhöhen (mit Haken, Seilen, Helmen stehen sie da, Helden gleich). Mit guten Gründen kann die ganze Mikrowelt eine narzisstische genannt werden (vgl. Warsitz 2020). Die Beziehung enthält, wie bereits erwähnt, ein deanimiertes Objekt und bedarf keiner Ausbildung eines affektiv fundierten interaktiven Modells der beiden Partner. Besteht eine Seilschaft, gibt es zusätzlich eine personifizierte Beziehung. Der Partner ist auf der unbewussten Ebene ein zweites Selbst, eine Verdoppelung, evtl. eine Bruderfigur.

Es dominiert ein ausgedehntes und durchdachtes Kontrollsystem (c). Bei genügender Rückmeldung, Sicherheit, entsteht ein ausgesprochenes Gefühl aktives Subjekt zu sein, das die Situation beherrscht.

Elemente und Wechselwirkungen sind über diese generellen Merkmale hinaus situationsspezifisch. Typische Situationen und Varianten der Mikrowelt sind:

  • Bewegung (Auf- und Abstieg)
  • Sicherstellung und Biwak
  • Ende (Ziel)
  • Sturz (was zu vermeiden ist)

Bewegung und Sicherung wechseln sich ab. Es sind Mikroprozesse, in denen Schritt für Schritt beide Prinzipien wechselnd verknüpft sind. In Makrophasen gegliedert kommt es zu den vier Situationen, die nachfolgend näher bestimmt werden.

 

6.2. Bewegung, Auf- und Abstieg

Die allgemeinen Codierungen finden sich auch in den spezifischen Phasen. Es kommt hinzu: Alle Relationen zur Veränderung, die aus einer Sicherung heraus vollzogen werden und wieder in einer Position der Sicherheit enden. Abbildung 2 zeigt die Relationen des Auf- und Abstiegs:

Limagination Abb 2

Abbildung 2: Relationen des Auf- und Abstiegs (Moser u. Hortig 2019, S. 252 ff.).

Die Bewegung ist eindeutig weg aus dem Stand. Eine örtliche Veränderung ist dringend notwendig (LTM): Die Suche mit den Augen nach den möglichen Griffen und Orten für Haken, Klemmen usw. zentriert die Aufmerksamkeit. Passivität soll vermieden werden. Der Anspruch, die Situation bestimmen zu können, ist gross.

Der Code IRC kin int weist auf eine Neuauflage der Stufe der Situationsbeherrschung hin. Die stete Verbundenheit mit dem Objekt (Fels, Eis) muss erreicht werden. Die oknophile Haltung (Anklammerung) ist primäres Erleben. Dazu werden alle Mittel (Means 1-n) je nach Bedarf eingesetzt.

Die Anklammerung an das Feste, Bestehende, kann über Passung (gute Griffe) oder gewalttätig über das Schlagen von Haken verlaufen. Die Verbundenheit möchte das Subjekt jedoch in alleiniger Regie vollziehen. Nicht-Gelingen erzeugt Angst vor dem Sturz. Die Verknüpfung des Subjektes mit einem deanimierten Objekt (CEU) bedarf keiner affektiven Abstimmung und Regulierung mit einem anderen Subjekt. Mitunter kann die oknophile Suche tragisch enden. Die Sicherung bricht, der Kletterer fällt aus der Wand und schwebt weg von ihr ins Ungewisse, immer noch durch das Seil mit dem mütterlichen Fels verbunden. Ein Interrupt der Bewegung wird durch den Berg oder durch eine Fehlleistung des Subjektes verursacht. Es besteht in dieser Situation die Hoffnung auf die Rettung und der Sicherung durch den Kollegen oder die Kollegin.

 

6.3. Sicherung, das Biwak

Sicherung ist ein ständiger Begleiter der Bewegungsphase. Überdeutlich wird dieser Prozess, wenn ein Biwak notwendig ist. Bei der Begehung der Magic Mushroom Route ist das mehrfach eingeplant. Waren es früher einfache Interrupts ohne besondere Vorkehren, ausser dem Verzehr von Nahrung und der Entleerung von Urin und evtl. Kot14, eine blosse Haltezeit, so sind es dort, Kraft neuer Technik, oft komplexerer Prozesse. Es gibt eine Reihe von Transformationen zur Gestaltung einer Ruhezeit. Abbildung 3 zeigt die Situation des Biwaks:

Limagination Abb 3

Abbildung 3: Die Situation des Biwaks (Moser u. Hortig 2019, S. 252 ff.).

Zur Einrichtung des Biwak-Platzes müssen Proviant und Schlafsack an separaten Seilen nachgezogen werden. Alle Gegenstände werden an Haken aufgehängt, auch der Schlafsack. Nichts darf verloren gehen.

Mit anderen Worten: Transformatorische Prozesse führen zu einem Zustand der Positionsrelationen. Im Unterschied zum Traum sind sie aber bewusst intendiert und gesteuert und nicht unbewusste Prozesse, die den Ablauf einer Relation unterbrechen.

POS REL ATTR ist ein Zeichen einer Autarkie, die Abhängigkeiten des Alltags und jener von der Mutter der früheren Kindheit verleugnen. Der Zustand der Mikrowelt ist einerseits relativ beruhigend, andererseits durch eine hintergründige Verlustangst geprägt. Der Verlust jeglichen Gegenstandes der Ausrüstung bewirkt möglicherweise in den nächsten Phasen der Bewegung eine lebensgefährdende Situation (z. B. Erfrierung bei Verlust von Handschuhen). Der Schlafsack ist ein Container mit einer schützenden Funktion. Insofern trifft die für den Traum zutreffende Codierung nicht zu. Das Containing ist intendiert hergestellt und Teil der Autarkie. Man ersetzt sich die ersehnte Wärme der Mutter selbst. Hier wird überdeutlich, dass die Codierung von intendierten Verhaltensweisen sich von der Traumcodierung unterscheiden muss.

Das verlängerte Interrupt des Kletterns kann auch bei körperlicher Erschöpfung zu kognitiven Prozessen führen. Zu einem Nachdenken über das Vollbrachte und zum Planen des Kommenden. Darüber hinaus sind Träumereien oder ein Schlaftraum möglich. In der Schlaflosigkeit dehnt sich die Mikrowelt (SP, Fels) aus zu einem Blick in die weite Landschaft und vor allem in die Tiefe einer fernen Makrowelt.

 

6.4. Der Sturz

Der Sturz ist das, was es unter allen Umständen zu verhindern gilt. Er kann zwei Formen annehmen: Eine Befestigung löst sich akzidentell oder durch eine Fehlleistung. Der Kletterer fällt ins Seil ins Leere und wird immer wieder an die Wand geschleudert. Er kann sich nur schwer befreien, erfriert und stirbt. Die Chance ist noch da, gerettet zu werden mit Hilfe des Begleiters oder der Begleiterin. Ein Freikletterer sichert sich hingegen nicht und stürzt. Die Risikobereitschaft ist in diesem Fall viel grösser. Ich beschäftige mich mit der ersten Version. Abbildung 4 verweist auf die Kodierungen des Sturzes:

Limagination Abb 4
Abbildung 4: Der Sturz (Moser u. Hortig, 2019, S. 252 ff.).

 Der Auslöser des Sturzes ist zufällig, ein Haken löst sich im brüchigen Gestein. Eine Verwirrung mit Sicherheitsseils und -schlaufen. Oder der Griff des Kletterers greift nicht, zum Beispiel aus Übermüdung der Hände. Auch kann ein Steinschlag die Seile zerschlagen.

Das Subjekt wird von der Wand weggeschleudert. Er kommt in eine Form negativer, missratener Philobatie (vgl. Warsitz 2020), die er nicht geniessen kann. Die Wand erhält als Attribut feindselig, abstossend. Halt wird nicht mehr vermittelt. Der Versuch, den Boden unter oder mit den Füßen zu finden, ist misslungen. Der Kontrollverlust ist immens. Nicht immer ist klar, ob der Sturz reversibel ist. Kognitive Prozesse (CP) suchen nach einem Ausweg. Die Angst steigt. Verzweifelt wird nach einer Lösung gesucht und der Zustand des eigenen Körpers erkundet (Verletzungen).

Die Parallele zum Traum ist wieder deutlich: Was im Traum als bedrohliche Lage erzählt wird, ist ein Indikator für affektiv nicht verarbeitungsfähige, traumatische Erinnerungen. Bei der Mikrowelt Sturz ist die Gefahr de facto da und wird als eine Bedrohung erlebt. Über innere Prozesse, über Angst zu sterben, über die Erinnerung an Zeiten der Verbundenheit mit aktuellen oder früheren Liebesobjekten. Vorerst jedoch ist noch Hoffnung in das Seil gewoben, ein selbstgeschaffenes, präventives Rettungsmittel. Das Seil vermittelt illusionäre Geborgenheit.15

 

6.5. Ziel und Ende

Den Gipfel, das Ende der Wand, ist das, was es unter allen Umständen zu erreichen gilt. Das Subjekt hat sich eine neue Mikrowelt geschaffen. Die Gefahren sind überwunden. Die Route ist begangen, der Gipfel erreicht. Ist ein Gipfelbuch da, so kann man sich eintragen. Alle Nachfolger sind dann Zeugen der eigenen Fähigkeiten. Erstbesteigungen leiden darunter, den Erfolg glaubhaft zu machen. An diesem Problem erwachsen oft sekundäre Dramen. In der Schilderung von Vinzens (2020) ist das kein Problem. Abbildung 5 zeigt die Codierung der Gipfelerfahrung:

Limagination Abb 5

Abbildung 5: Die Gipfelerfahrung (Moser u. Hortig, 2019, S. 252 ff.).

Die Erdgebundenheit ist vorbei. Der Kampf mit dem Berg oder Fels ist vorerst beendet. Jetzt herrscht philobatische Stimmung. Gefühle von Freiheit, von Überwindung und von Triumph. Das entspricht dem Zustand der narzisstischen Adoleszenz. Vollkommen frei von Erdgebundenheit ist jedoch nur der Flieger und das auch nur mit technischen Mitteln. Der Bergsteiger bleibt mit der Masse des Gesteins verbunden. Das Element der Anklammerung und, das wäre nachzutragen, der Überwindung der Schwerkraft sind Funktionen des Tragens. Das Subjekt steht auf dem Gipfel, ohne zu merken, dass der Berg es trägt. Zum Fliegen hingegen gehört das Element der Luft.16

Der Berg, die Wand, wird nachträglich zum Partner, denn ohne ihn wäre das Gefühl von Tüchtigkeit, diese Mutprobe, nicht möglich gewesen. Die Transformation in einen Zustand der Nicht-Bewegung ist erstaunlich. Der Zustand ständiger Spannung fällt dahin. Die Makrowelt des weiten Blickes öffnet sich. Die Wetterlage bestimmt allerdings die positive oder negative Färbung der Affektivität und wirft manchmal einen Schatten der Bedrohung. Dann wird der neue PLACE Ziel schnell verlassen. Der Abstieg beginnt.

Aus der Perspektive des Ziels entstehen neue Hypothesen: Ist das Gefühl des Triumphes ein Zeichen ödipaler Macht? War nicht die ganze Tour ein Männlichkeitsbeweis, ein verschobener Versuch, den Vater zu überholen? Wäre dann nicht die Beziehung Subjekt-Berg ein unbewusster Inzest? Der Berg nicht mehr in Verschiebung, die präödipale Mutter, die Besteigung eine ödipale Handlung? Wurde nicht ein Erfolg-Misserfolg-Konflikt ausgetragen (vgl. Freud 1940; Laforgue 1944)? Es gibt ja auch die Möglichkeit des Sturzes im Abstieg, ein Scheitern nach dem Erfolg. Das kommt sehr häufig vor, besonders bei Alleingängern.

 

7. Zuhause in der Einsamkeit?

Wenn ich die Fotografien von Bonatti (1985) anschaue, bin ich fern jeder psychologischen Theorie erschüttert und eine Stimme in mir sagt da gehörst du hin. Es ist, wie Bonatti beschreibt, eine Welt der Stille, der Einsamkeit, der Weite und des inneren Friedens.

„Im scharfen Septemberfrost blieb alles lautlos… Die Gletscher liessen nicht das geringste Geräusch vernehmen, der Fluss weit im Talgrund unten sandte kein Murmeln hinauf und nicht einmal der Wind wisperte. […] Ich war trunken vor Einsamkeit und Phantasien, die uns zuweilen dahin versetzen, wo wir nicht sind, aber zu sein wünschen. […] Die Stille war von einer solchen Kompaktheit, dass sie einem betäubte.“ (Bonatti 1960, S. 114)

Und er schildert den Blick in die Schönheit der Makrowelt:

„Bergmassive überlagerten sich, verschmolzen miteinander und schieden sich aus unerfindlichen Gründen wieder, Myriaden von Spitzen stachen verwirrend empor, zart modellierte Grate rangen mit ihren eigenen Schatten um das Leuchten der Schneefelder, während die Gletscher unten, eingeschlossen zwischen Gipfelzinnen, breiten Lichtseen glitten, deren Oberfläche die Spalten wie überraschende Sturmböen aufwühlten. – Es war ein Fest von reiner Pracht, das mir die Natur voller Hingabe bereitete und das Nahrung für meine Seele war.“ (Bonatti 1960, S. 115).

Da klingt bei Bonatti ein Gefühl der Ergriffenheit an, eines ästhetischen Erlebens, ein beinahe mediales Gefühl der Einheit mit der Welt der Berge, in der man sich selbst findet, Selbst und Umwelt vereint (s. dazu Messner 2014). Der Alleingänger liebt Wege und Orte, die nie zuvor begangen wurden. Die Stille und die Einsamkeit geben dem Berggänger auch das Gefühl, etwas für ihn Einzigartiges zu erfahren, das ihm auch Identität vermittelt.

Die Versuchung ist nahe, den Weg des Kletterns mit einer Prozession zu vergleichen, die Biwaks als Stationen zu sehen, Gefahren und Leiden als notwendige Prüfungen zu platzieren. Es sind Reisen ins Ungewisse, das doch bereits zur Heimat geworden ist.

Die neue Generation des Kletterns wird diese Skala der Gefühle kaum kennen. Bergsteigen ist zum Massensport geworden, zur Leistungsschau und zum steten Wettbewerb. Die Einsamkeit wird durch häufige Warteschlangen brutal zerstört. Und die Erdgebundenheit fehlt im abgesicherten wetterfesten Raum der Kletterwand.

Zurück zum Beginn: Klettern ist eine Form der materialisierten Imagination (imagination matérielle), der Traum ist eine ideelle mentale (vgl. Bachelard 1948). Die Phantasie des Kletterns führt ins subjektiv Unbegangene, jene des Traumes ins ungedachte Innere. In beiden Fällen werden Trajektorien gelegt, im ersten Fall in die Weite der Berge, im zweiten Fall in die unbekannten und vergessenen Mikrowelten unserer Kindheit.17

 


1 1892 erstmals erstiegen von Christian Klucker und M. Barbaria.

2 Die man, wie es damals hiess, nur durch den eigenen Tod beendet.

3 Der Subjektprozessor (SP) ist Träger von Prozessen zu Objekten und zu sich selbst.

4 PLACE kann je nach Kontext unterschiedliche Bedeutungen haben (s. Abb.1; Abb. 5)

5 Eine Selbstsicherungsschlinge.

6 S. z. B. Der Watzmann ruft (Ambros et al. 1991).

7 Das Reduit Vercors im zweiten Weltkrieg.

8 In meinen Seilschaften waren immer auch Frauen dabei und als besonders gute Kletterinnen bekannt (s. Destivelle 2005).

9 Die Extremkletterei in Form der Technisierung oder des Freikletterns habe ich nur noch in den Anfängen erlebt.

10 Auf die historische Darstellung wird verzichtet.

11 Das ist beim Skifahren ein besonderer Genuss: Die gewählte Spur ist direkt sichtbar.

12 Ich hätte ebenso gut einen anderen Bericht einer anderen Seilschaft als Ausgangspunkt nehmen können.

13 Zunächst kommt die Codierung, dann eine Deutung. Sofern der Leser nicht an der Codierung interessiert ist, kann er sich jeweils auf den nachfolgenden Text beschränken. Für Kenner der Codierung ist eine vereinfachte Art der Darstellung versucht worden. Sie ist der Struktur der konkreten Handlung und deren Selektion angepasst.

14 Darüber wird seltsamerweise kaum berichtet.

15 Wird das Klettern zum Hallensport an künstlichen Wänden, dann gehört ein Sturz mit guter Versicherung zum Alltag und zu einem reversiblen Vorfall.

16 Zum Unterschied zwischen Bergsteigen und Fliegen (s. Bachelard 1943; Nietzsche 1930; Moser 1957).

17 Bemerkung zur Anwendung der Codier-Methode ZDPCS (Moser u. Hortig, 2019) auf die Beschreibung von Verhaltensweisen: In dem vorliegenden Beispiel ist diese Anwendung nicht ganz zufriedenstellend gelungen. Die Analogie zur Wunschaktualisierung und zur Sicherheitsregulierung sowie zur Identitätsfindung und -bewahrung ist hingegen verblüffend. Die ganze Kletterei kann als eine Mikrowelt, in der Form einer Sequenz von Situationen, betrachtet werden. Transformative und statische Situationen wechseln ab. Statische Phasen sind allerdings im Klettern intentional und durch die Struktur des Objektes gesetzt und haben nicht die Bedeutung von Indikatoren früher Störungen. Versuchsweise habe ich eine lockere Darstellung der Codes gewählt. Elemente und deren Attribute und Relationen werden separat erfasst. Wie bereits schon erwähnt, ist nicht klar zwischen affektiv besetzten und nur wahrnehmungsbetonten Elementen und Relationen zu unterscheiden. Ein zentrales Element: Der Berg oder die Wand hat als deanimiertes Objekt zunächst eine kinästhetische und materielle Bedeutung. Gerade deshalb bekommt das Element in den prototypischen Situationen symbolisch eine je andere Bedeutung. Der Berg hat die Attribute haltgebend, aggressiv zurückweisend, masslos grossartig und indifferent kalt. Den Attributen entsprechend ist die Relation des Subjektes zu diesem deanimierten Objekt anders geartet. Die Bestimmung der affektiven expliziten Reaktionen, der psychischen wie der somatischen, ist problematisch, weil sie nicht direkt aus Äusserungen einzelner Subjekte abgeleitet wurden. Die Codierung muss an Originaldaten von Bergsteigern angepasst werden, um analog zum Traum angewandt werden zu können.

 

Literaturverzeichnis

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Autor:in: Ulrich Moser, Prof. emerit. Universität Zürich, ist Ausbildungsanalytiker der schweizerischen Gesellschaft für Psychoanalyse (SGPsa/IPA). Aus seiner wissenschaftlichen Tätigkeit sind diverse Veröffentlichungen in den Gebieten Traum, Wahn, Phantasie, Neurosen, frühe Störungen, Computersimulation, psychoanalytische Situation u.a. hervorgegangen. Zudem setzte er sich mit Poesie auseinander und veröffentlichte einen Gedichtband.