In der Rubrik Abhandlungen / Essays finden sich wissenschaftliche Aufsätze, theoretische Abhandlungen und Essays aus Philosophie, Psychoanalyse und Kulturwissenschaften.
Carl Corleis
Y – Z Atop Denk 2022, 2(10), 2.
Abstract: Die Rezeption von Michel Foucaults Verhältnis zur Psychoanalyse konzentriert sich auf seine späten, der Psychoanalyse gegenüber kritischen Arbeiten. Die 1960er Jahren hindurch bezog sich Foucault jedoch beinahe ausschließlich affirmativ auf sie, namentlich in Hinblick auf die Schriften Jacques Lacans. Dies ist umso bemerkenswerter, als dass Foucault seine theoretischen Konzeptionen in dieser Zeit mehrmals modifizierte. Worin findet sich der Grund dafür, dass das Denken Lacans ungeachtet dieser Veränderungen für Foucault über viele Jahre hinweg Bezugspunkte bieten konnte und warum änderte sich dies Anfang der 1970er Jahre? Anhand einer Rekonstruktion der Spuren, die die Arbeiten Lacans in Foucaults philosophischer Entwicklung dieser Jahre hierließen, lässt sich zeigen, dass es die fundamentale Bedeutung der Sprache in Lacans Psychoanalyse ist, die Foucault für seine eigenen Überlegungen zum Wahnsinn, zur Überschreitung und zur Sprache auf je verschiedene Weise fruchtbar zu machen verstand. Aus dieser Perspektive heraus lässt sich einsichtig machen, warum mit Foucaults theoretischer Neuausrichtung in den 1970er Jahren Lacans Schriften für ihn keine theoretische Ressource mehr darstellen konnten.
Keywords: Wahnsinn, Überschreitung, Sprache, Tod Gottes, Name-des-Vaters
Veröffentlicht am: 30.10.2022
Johannes Vorlaufer
Y – Z Atop Denk 2022, 2(9), 1.
Abstract: Wenn „therapeutisch“ im weiten Sinn des Wortes eine Befreiung des Menschen aus Verengungen meint, die es ihm verunmöglichen, die Weite und Tiefe seines Existierens zu erfahren, und wenn zu diesen unser Denken und unser Wesen bestimmenden Verengungen das Vorherrschen eines chronologischen Zeitverständnisses zählt, das mit der Zeit nur noch rechnend umgehen kann, dann ist eine Rückfrage nach der in einem gelingenden Gespräch möglichen ursprünglichen Zeiterfahrung nötig. Dies soll am Begriff der Gegenwart versucht werden.
Keywords: Hören, Zeit, Mitsein
Lutz Goetzmann
Y – Z Atop Denk 2022, 2(4), 2.
Abstract: Im vorliegenden Artikel wird versucht, eine Politik der Psychoanalyse zu entwerfen, die zu einer Transformation der Gesellschaft beitragen könnten. Ausgangspunkt ist die Aktualisierung realer, d.h. nicht-repräsentierter Empfindungen in Form eines fairen oder unfairen Aktes, dem eine Aktualisierung symbolischer Überich-Strukturen vor dem Hintergrund des Ödipus-Komplexes entgegengesetzt wird. Eingehend wird die Möglichkeit der Wahlfreiheit diskutiert und hier auf die Überlegung zurückgegriffen, dass eine freie rationale Wahl nur von einem Ort des Mangels ausgehen kann. Hier wird zwischen einem „Subjekt des Unbewussten“1 und einem „Subjekt der praktischen Vernunft“ unterschieden. Diese Überlegungen werden in Bezug gesetzt zu John Rittmeisters Notizen, die Rittmeister in Berliner Gefängnissen auf Tüten und Papierfetzen festhielt, und die als Grundlage einer heutigen „Politik der Psychoanalyse“ gelten dürfen.
Keywords: Politik der Psychoanalyse, Empfindungen, das Reale, Ödipus-Komplex, Subjekt
Veröffentlicht: 30.04.2022
Nico Graack
Y – Z Atop Denk 2022, 2(2), 1.
Abstract: Das zentrale Problem der lévinasschen Philosophie ist der Status des Anderen und seine Beziehung zum Selben. Dabei wurde ihm von Seiten lacanianischer Philosophie, namentlich Žižek, vorgeworfen, den Anderen zu „fetischisieren“. Worin genau diese Fetischisierung besteht, lässt sich durch einen Blick auf das lévinassche Verhältnis zum Witz besser verstehen. Lévinas hegt eine gewisse Aversion gegen den Witz und fordert stattdessen den „strengen Ernst der Güte“. Im Witz zeichnet sich aber eine soziale Beziehung ab, die die Grundlage der ethischen Relation mit dem Anderen bildet, ohne ihn zu fetischisieren. Das heißt: Eine Beziehung, in der der Andere selbst immer schon in zwei Instanzen gespalten ist – In das, was Lacan den imaginären und den symbolischen Anderen nennt. Erst die Anerkennung dieser zwei Instanzen verhindert, dass der Andere zu einem quasigöttlichen Meister oder einem bloßen Objekt meiner Verfügung wird. Der strenge Ernst der Güte braucht den Witz des Anderen.
Keywords: Witz, Ethik, Lévinas, Lacan, Fetisch
Veröffentlicht: 25.02.2022
Melanie Reichert
Y – Z Atop Denk 2022, 2(1), 1.
Abstract: Im Jahr 1966 trifft die damals 24-jährige Promovendin Julia Kristeva in Paris auf Roland Barthes, der zu dieser Zeit am Collège de France lehrt. Im Verlauf ihrer langen philosophischen Freundschaft haben sich beide auf nachhaltige Weise beeinflusst. Besonders wichtig für die philosophische Entwicklung Barthes’ waren Kristevas Arbeiten zum Paragramm (Samoyault 2015, 515), in denen sie die Vorstellung, bei Texten handele es sich um Prozesse, radikalisiert. Ebenso wie die Schriften Michail Bachtins, mit denen Kristeva Barthes vertraut macht, haben diese Arbeiten ihn entscheidend dabei beeinflusst, den Text als oszillierendes ästhetisches Phänomen in den Blick zu nehmen und diese Perspektive ideologiekritisch fruchtbar zu machen. In diesen Motivkreis fällt auch der Begriff der Jouissance. Eine Verbindung der Gedanken Barthes’ und Kristevas über den Nexus des Jouissancebegriffs kann folgendes zeigen: Zum einen handelt es sich bei der Erfahrung der Jouissance um ein epistemisches Phänomen, eine eigene Erkenntnisweise. Zum andern entfaltet diese besondere Erkenntnisweise vor dem Hintergrund nicht nur der Kulturphilosophie des 20. Jahrhunderts einige subversive Kraft.
Keywords: Jouissance, Kulturkritik, Episteme, Erotik, Ästhetik
Veröffentlicht: 25.01.2022
Hilmar Schmiedl-Neuburg
Y – Z Atop Denk 2021, 1(11), 1.
Abstract: Hans-Georg Gadamers Werk Wahrheit und Methode (1990 [1960]) gilt als das wichtigste Werk der Hermeneutik im 20. Jahrhundert. Die Daseinsanalyse als Psychotherapie hingegen entstand aus der Verschmelzung der Psychoanalyse Sigmund Freuds und der Daseinsanalytik Martin Heideggers. Vor diesem Hintergrund geht der Aufsatz der Frage nach, ob auch das philosophische Werk des bedeutendsten Heideggerschülers, Hans-Georg Gadamer, sich für die daseinsanalytische Psychotherapie fruchtbar machen lässt. Im Rahmen des Aufsatzes werden daher im ersten Teil die Grundzüge der gadamerschen philosophischen Hermeneutik vorgestellt und im zweiten Teil ihre Bedeutung für die daseinsanalytische Psychotherapie exploriert.
Keywords: Gadamer, Hermeneutik, Daseinsanalyse, Psychoanalyse
Veröffentlicht: 24.11.2021
Shannon Diehl
Y – Z Atop Denk 2021, 1(10), 8.
Abstract: In der aristotelischen Lehre über die Seele, welche hauptsächlich durch den Hylemorphismus geprägt wird, erweckt die Seele als Form (morphḗ) die Materie (hyle) zum Leben und verwirklicht das, was im Körper als artenspezifisches Potential angelegt ist. Die Beschreibung der Potentialiät, zu welcher sich die aristotelische Urmaterie ausformen kann, zeigt große Ähnlichkeiten zu den spezifischen Ausformungen der Welle/Teilchen als Primärenergie, welche verschiedene Erscheinungsformen, wie auch bewusstseinsspezifische Ausformungen, annehmen kann. Damit ähnelt Aristoteles Lehre über die Potentialität und über die Form und Materie dem Ansatz der Quantenphysik und kann letztlich nützlich sein, um diese wie auch den Welle/Teilchen-Dualismus besser zu verstehen.
Keywords: Hylemorphismus, Aristoteles, Quantenphysik
Veröffentlicht: 18.10.2021
Maximilian Thieme
Y – Z Atop Denk 2021, 1(10), 2.
Abstract: Soziale Scham ist eine der schmerzhaftesten psychischen Manifestationen eines Klassenantagonismus, der die Gesellschaft spaltet und hierarchisiert. Wer die soziale Klasse wechselt, bleibt doch auf die Herkunft verwiesen und leidet an einer inneren Zerrissenheit. Dieser Text zeichnet die Entstehung und auch die Formen nach, in welchen soziale Scham phänomenologisch in Erscheinung tritt. Erkenntnisse aus den Feldern der Soziologie, der Philosophie und der Psychoanalyse werden hier in ein Gespräch gebracht, um Möglichkeiten zu ersinnen, wie sich das existentielle Trauma einer solchen Scham bewältigen lassen kann.
Keywords: Scham, Habitus, Klassenunterschiede, Emanzipation
Veröffentlicht: 18.10.2021
Hilmar Schmiedl-Neuburg
Y – Z Atop Denk 2021, 1(10), 3.
Abstract: Die Charakterisierung des Sokrates als atopos, ortlos und seltsam, unklassifizierbar und ineffabile, in den platonischen Dialogen gibt Rätsel auf. Dieser Aufsatz versucht, den Spuren des Atopischen in den platonischen Darstellungen des Sokrates nachzugehen und Licht in die grundlegende Bedeutung des Atopischen für Sokrates und die Philosophie insgesamt zu bringen.
Keywords: Atopie, Sokrates, Trickster
Veröffentlicht: 18.10.2021
Hilmar Schmiedl-Neuburg
Y – Z Atop Denk 2021, 1(10), 1.
Abstract: Die Philosophie, die Psychoanalyse und die Kulturwissenschaften sind eigenständige, komplexe Weisen menschlicher Selbstverständigung und stehen zugleich in vielfältigen Beziehungen zueinander. Im Rahmen dieses Aufsatzes werden die Perspektiven eines Gesprächs, Austauschs und wechselseitigen Lernens, aber auch der wechselseitigen Kritik von Philosophie, Psychoanalyse und Kulturwissenschaften exploriert, ohne dabei einer der drei Disziplinen einen Primat einzuräumen.
Keywords: Philosophie, Psychoanalyse, Kulturwissenschaften, Cultural Studies, Transdisziplinarität
Veröffentlicht: 18.10.2021